Unhinterfragt geblieben: Forscher verheißen Heilung durch Gentherapie in Augenzellen

Mit einer Gentherapie möchten Marburger Neurophysiologen Blindheit heilen. Für Blinde ist dieses Versprechen nicht unproblematisch.
Die Marburger Neurophysiologen zeigen wie die besten Ansätze bei Sehkraft-wiederherstellenden Gentherapien erkannt werden können. Degenerative Netzhauterkrankungen, wie die Makuladegeneration oder Retinitis Pigmentosa (RP) zählen zu den häufigsten Ursachen für eine Erblindung. Bei diesen Erkrankungen gehen die lichtsensitiven Sinneszellen der Netzhaut unwiederbringlich verloren.
Weltweit arbeiten Forscherinnen und Forscher an Sehkraft-wiederherstellenden Gentherapien, um die verbleibenden Zellen der Netzhaut lichtsensitiv zu machen und so die Funktion der verlorenen Sinneszellen zu ersetzen. Ein Forschungsteam aus Marburg und Oxford hat nun Messmethoden etabliert, mit denen sich verschiedene Behandlungsansätze im Vorfeld detailliert untersuchen und vergleichen lassen. So lässt sich die Entwicklung erfolgversprechender Gentherapien am Auge in Zukunft effizienter und schneller gestalten.
Ihre Erkenntnisse veröffentlicht die Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift „Cellular And Molecular Life Sciences“. Eine wissenschaftliche Debatte über mögliche Nebenwirkungen dieses Behandlungsansatzes wie auch eine ethische Diskussion über mögliche Nebenwirkungen und Gefahren solcher Heilsversprechen wäre jedoch auch wichtig, damit Blinde und Sehbehinderte nicht unter moralischen Druck geraten, ihre Lebensentscheidungen ohne solche dubiosen Verfahren zu treffen.
„Die Augenheilkunde hat seit einigen Jahren bereits eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Gentherapie“, sagte Dr. Moritz Lindner vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Er ist einer der Mitinitiatoren der Studie.
Aktuelle Therapieansätze zielten vor allem auf einzelne, genau definierte Erkrankungen in frühen Stadien ab. Die sogenannte „Sehkraft-wiederherstellende Gentherapie“ soll dagegen auch die Behandlung von Spätstadien ermöglichen. In diesen Stadien sind die Sinneszellen der Netzhaut bereits zugrunde gegangen.
„Aber es gibt weitere Zellen im Auge, die durch die Gentherapie gewissermaßen umprogrammiert werden können“, erklärte Lindner. „In der Netzhaut befinden sich beispielsweise Zellen, die die Informationen aus den Sinneszellen verarbeiten und Bildinformationen wie Größe oder Bewegungsrichtung eines Gegenstandes an das Gehirn weiterleiten. Durch das gentherapeutische Einbringen von lichtsensitiven Proteinen reagieren aber auch diese Zellen auf Lichtreize. Man umgeht somit die fehlenden Sinneszellen.“
Erste Ansätze dieser Art befänden sich bereits in klinischen Studien. „Jedoch gibt es bisher kaum Daten, aus denen sich ablesen lässt, welche der diversen lichtsensitiven Proteine am besten geeignet sind und welcher der verschiedenen Typen von Netzhautzellen genau behandelt werden soll“, erläuterte Lindner.
Das Forschungsteam hat im Tiermodell nun einen Versuchsaufbau entwickelt, mit dem sich die Lichtantworten in den Netzhäuten sehr genau beschreiben lassen. „Wir konnten zeigen, dass die gemessenen Lichtantworten denen von gesunden Augen stärker ähneln, wenn man zielgerichtet einen ganz bestimmten Zelltyp behandelt“, berichtete Lindner. „Viel wichtiger ist aber, dass sich jetzt relativ einfach systematisch verschiedene in Entwicklung befindliche Ansätze vergleichen lassen.“
Damit könne die Entwicklung vielversprechender Ansätze effizienter vorangetrieben werden und schlussendlich schneller in die klinische Anwendung kommen, hofft der Forscher. Fragen sollten die Wissenschaftler allerdings zuerst, ob RP-Patienten ihre Erblindung nicht als wichtige Herausforderung betrachten, an der sie wachsen und ihre Stärken entwickeln konnten.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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