Den meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gefällt das Leben in Marburg. Viele können sich auch eine Zukunft in der Universitätsstadt vorstellen.
Das geht aus dem ersten Jugendbericht hervor, den die Stadt Marburg nun veröffentlicht hat. Den Beteiligten war es besonders wichtig, die jungen Leute auch selbst zu Wort kommen zu lassen.
„Nicht über Jugendliche und junge Menschen sprechen, sondern mit ihnen. Mehr noch: Gemeinsam mit ihnen Jugend in den Fokus stellen. Das ist das Besondere am Marburger Jugendbericht“, sagte Stadträtin Kirsten Dinnebier. Vor drei Jahren hat die Stadtverordnetenversammlung die Erstellung beschlossen, nun liegt die erste wissenschaftliche Studie zu Marburgs Jugendlichen und jungen Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren vor.
Entstanden ist eine Momentaufnahme, die bewusst in die Breite gehend angelegt wurde. Es ging nicht darum, ein einheitliches Bild von dem oder der Marburger „Durchschnittsjugendlichen“ zu skizzieren, sondern vielmehr um einen differenzierten, vielfältigen Blick. Dem lagen folgende Fragestellungen zugrunde: Wie sind die aktuellen Lebenssituationen, Handlungs- und Teilhabemöglichkeiten von Jugendlichen und jungen Menschen in Marburg? Wie nimmt die Zielgruppe ihr Leben und ihre Perspektiven in Marburg wahr? Welche Tendenzen lassen sich ablesen? Welche Angebote der Jugend(sozial)arbeit gibt es in Marburg für junge Menschen und in welche Richtung können Angebote weiterentwickelt werden?
Der Bericht nähert sich diesen Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven in drei Teilen. Im ersten Teil zeichnen unterschiedliche statistische Daten die Lebenssituationen von jungen Menschen in Marburg nach. Der städtische Jugendhilfeplaner Werner Meyer liefert beispielsweise Zahlen und Fakten zur Einwohnerstatistik und zu schulischen Bildungsverläufen.
Im zweiten Teil des Berichts kommen junge Menschen selbst zu Wort. Eine Projektgruppe um den Pädagogen Prof. Dr. Ivo Züchner von der Philipps-Universität hat dazu 18 Jugendgruppen aus der Altersgruppe der 14-
bis 21-Jährigen im Sommer 2018 befragt. Darunter waren nicht nur junge Leute aus Jugendhäusern, Kirchen und dem Kinder- und Jugendparlament, sondern auch Auszubildende, Straßencliquen, junge Geflüchtete sowie Gruppen aus verschiedenen Schulen und Außenstadtteilen.
Daraus ergibt sich ein ungewöhnliches Bild: Die meisten jungen Leute leben gern in Marburg. Sie mögen die junge Dynamik der Stadt. Und sie fühlen sich zu Hause, wenn sie nach einer Reise das Schloss sehen. Sie wollen zwar alle auch noch einmal in einer anderen Stadt leben und „was anderes sehen“, können sich aber gut vorstellen, später wieder zurückzukehren.
Dieser Befund gilt über alle Bildungsschichten hinweg auch für Geflüchtete und Migrirte. „Das habe ich so in anderen Städten noch nicht erlebt“, erläuterte Züchner. Ergänzend hat das Team eine standardisierte Befragung des Kinder- und Jugendparlaments aus dem Jahr 2013 reanalysiert.
Im dritten Teil erhebt Züchner mit seinen Mitarbeitenden online die Angebote der Jugend(sozial)arbeit über eine Einrichtungs- und Trägerbefragung. Die Befunde und Ergebnisse sind vielfältig. Sie decken sich teilweise mit Erkenntnissen aus aktuellen bundesweiten Studien wie die der Sinus- und der Shell-Jugendstudie, zeichnen dann aber auch ein sehr spezifisches Bild für Marburg.
So fehlt es den Jugendlichen vor allem an (öffentlichen) Räumen, in denen sie sich kostenlos und ungestört treffen können. Die Lahnterrassen und -wiesen erleben sie zumindest teilweise als einen Platz für Studierende. Als Positivbeispiel wird dagegen das Georg-Gaßmann-Stadion genannt, das auf der einen Seite viele Einrichtungen – von der Skaterbahn über Sitzplätze bis zum nahe gelegenen Einkaufsmarkt – bietet, aber auch von Polizei und Pädagogen weniger überwacht wird.
„Die jungen Leute suchen angstfreie Orte, an denen der Blick der Obrigkeit nicht so stark ist“, erklärte Züchner. Bemerkenswert ist auch, wie unterschiedlich die Lebenswelten zwischen den Jugendlichen aus der Kernstadt und den dörflichen Stadtteilen aussehen.
Überspitzt formulierte Züchner: „Die einen fliegen mit ihren Eltern in den Urlaub, die anderen helfen auf dem Hof.“Zudem finden sich die meisten Angebote für Jugendliche im Zentrum, das von den Dörfern aus schwerer zu erreichen ist. Sie beklagen denn auch fehlende Busverbindungen vor allem abends und am Wochenende.
Verantwortet wird der Bericht insgesamt von einer zwölfköpfigen Steuerungsgruppe, die in ihrer Zusammensetzung unterschiedliche Expertisen eingebracht hat. Gemeinsam haben sie das Untersuchungsdesign erarbeitet, Ergebnisse analysiert und Impulse im Fazit gesetzt. Den Mitgliedern der Steuerungsgruppe war es sehr wichtig, den Jugendbericht in einem dialogischen Prozess zur erstellen. Nur unter der Beteiligung vieler Akteur*innen konnte ein differenziertes Bild für Marburg entstehen. Der gesamte Prozess des Jugendberichts wurde in zwei Foren mit der interessierten Öffentlichkeit diskutiert. Anregungen und weitere Fragestellungen aus diesen Veranstaltungen flossen unmittelbar in die Berichtsteile ein.
Der Bericht liefert vielschichtige Einblicke in die Lebenssituation von Jugendlichen in Marburg. Er soll ausdrücklich als Diskussionsgrundlage verstanden werden und damit einen Beitrag leisten, junge Menschen stärker in den Fokus zu rücken. Die eigentliche Arbeit, jungen Menschen und Jugendlichen entsprechende Angebote, Chancen und Perspektiven in Marburg zu geben, beginnt jetzt und ist in einer Zeit, in der die Jugendangebote aufgrund der Corona-Krise nur eingeschränkt möglich sind, umso wichtiger.
Den Marburger Jugendbericht können Interessierte unter www.marburg.de/portal/seiten/kinder-und-jugendfoerderung-900000114-23001.html herunterladen. Weitere Informationen gibt es beim Fachdienst Jugendförderung unter der E-Mail jufoe@marburg-stadt.de.
Mit 2.253 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren hat Marburg einen eher durchschnittlichen Anteil an Heranwachsenden. Das „jugendliche Flair“ verdankt die Stadt vor allem den Studierenden – die Zahl der jungen Leute zwischen 18 und 21 Jahren steigt sprunghaft auf 4.448 an.
Dadurch hat Marburg mit 39,6 Jahren einen niedrigen Altersdurchschnitt – in Hessen liegt er sonst bei 43,8 Jahren.
Die Jugendlichen wohnen im Gegensatz zu den Studierenden aber viel häufiger in den Stadtteilen. „In der Oberstadt, Weidenhausen und dem Campusviertel leben zusammen weniger Jugendliche als in Schröck oder auch in Michelbach“, berichtete Jugendhilfeplaner Werner Meyer.
Nach seiner Analyse ist die Zahl der Jugendlichen, die in Hartz-IV-Haushalten leben, etwas niedriger als in vergleichbaren Städten. Trotzdem ist etwa jeder achte Jugendliche betroffen.
Zudem leben die sozial benachteiligten Jugendlichen zum größten Teil am Richtsberg, im Waldtal und im Stadtwald, wo auch der größte Teil der Integration für geflüchtete Familien geleistet wird. Dort hat fast jeder zweite Jugendliche einen Migrationshintergrund.
* pm: Stadt Marburg