Theater über Theater: „Nora oder ein Puppenheim“ nach Henrik Ibsen

Großstädte wie Berlin und Hamburg feiern Audiodeskription für Blinde derzeit als neue Errungenschaft. Beim Hessischen Landestheater Marburg (HLTM) gehört sie bereits seit Anfang 2017 zum festen Programm.
Im Herbst 2018 hat Christin Ihle die Bildbeschreibungen über Funk per Kopfhörer von dem früheren Dramaturgen Franz Burkhard übernommen. Bei der Inszenierung von „Nora oder ein Puppenheim“ war sie auch für die Dramaturgie zuständig. Den häufig gespielten Bühnenklassiker von Henrik Ibsen hat Laura N. Junghanns in ein Theater der heutigen Zeit übertragen.
45 Minuten vor Beginn der Aufführung am Mittwoch (15. Januar) zeigte Ihle den Sehbehinderten und Blinden die Bühne im „Großen TaSch“. Sie besteht auf einem Kasten, der sich auf einem Podest befindet. Mit einer Scheibe ist er vom Zuschauerraum abgetrennt.
All das wüssten sehbeeingträchtigte Theaterbesucherinnen und -besucher ohne ihre Beschreibungen ebensowenig wie die Sprechrichtung der Darstellerinnen und Darsteller oder das Aussehen ihrer Kleidung und ihrer Perücken. Mit wenigen kurzen Worten verschaffte Ihle den Sehbeeinträchtigten in Sprechpausen oder während der Musikeinspielungen einen „Überblick“ über das Geschehen auf der Bühne. Ihre Beschreibungen waren präzise und aufschlussreich.
Die zweistündige Inszenierung hat Ibsens Handlung in ein Theater verlegt. Regisseur Lars Krogstad probt dort mit Nora und ihrem Ehemann Torsten Helmer das Theaterstück des norwegischen Bühnenautors. Dabei erleben Nora und Thorsten genau das, was Ibsen seiner Protagonistin und ihrem Ehemann zugeschrieben hat.
Lars erpresst Nora wegen eines alten Schuldscheins. Darauf hat sie die Unterschrift ihres bereits verstorbenen Vaters gefälscht, der für die Sicherheit des Darlehens bürgen sollte. Thorsten darf nichts davon erfahren, obwohl ihr „Verbrechen“ ihm das Leben gerettet hat.
Theaterintendant Dr. Nils Rank ist schwer erkrankt und übergibt Thorsten die Intendanz. Sofort feuert er Lars. Daraufhin droht der dienstältere Schauspieler, Noras Geheimnis auffliegen zu lassen.
Aus Ibsens Drama um Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit hat Junghans eine Auseinandersetzung um Macht und Machtmissbrauch zwischen den Geschlechtern gemacht. Die „#Metoo“-Debatte hat dabei unverkennbar Pate gestanden. Auch die jüngste Studie über die ungerechte Verteilung von Machtpositionen in deutschen Theatern wurde zitiert.
Weitgehend stimmig ist Junghans diese Übertragung unter Rückgriff auf 80 Prozent des Originaltexts gelungen. Gegen Ende hingegen ufert ihre Inszenierung leider aus und setzt auf einige alberne Gags. Mehr Ernsthaftigkeit hätte dem Ende sicherlich gutgetan.
Die beiden unterschiedlichen Schlussvarianten von Ibsen problematisiert Junghans ebenfalls. Klar ist jedoch, dass allein die 1879 veröffentlichte Ursprungsversion mit dem Türenknallen in Frage kommen kann. Allein sie verdeutlicht die Dramatik des Themas auch mehr als 140 Jahre nach dem Erscheinen des Werks
Als Nora Helmer überzeugte Mechthild Grabner ebenso wie Lisa Grosche als Kristine Linde. Robert Oschmann mimte den angehenden Theaterintendanten und „überlegenen“ Ehemann Torsten Helmer genauso gekonnt wie Metin Turan den sehr differenziert angelegten Erpresser Lars Krogstad. Lediglich Sven Brormann wirkte als Dr. Rank mit einer zu hoch verschobenen Fistelstimme eher anstrengend und minderte dadurch ein wenig sein darstellerisches Können.
Insgesamt war die Inszenierung trotz der Kritik einiger Theatergäste, dass das Theater hier wieder einmal „Nabelschau“ betreibe und „sich selbst in den Mittelpunkt“ rücke, aber durchaus überzeugend. Noch überzeugender war jedoch die Audiodeskription der Theaterdramaturgin Ihle, die mit wenigen Worten ein anschauliches Bild der Szenerie auf der Bühne malte.

* Franz-Josef Hanke

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