Die Vervielfältigung von Genfamilien bereitete den Landgang der Pflanzen vor. Später ermöglichte sie auch die enorme Vielfalt der Blütenpflanzen.
Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, in der Forscherinnen und Forscher aus aller Welt Gene von weit mehr als tausend Pflanzenarten analysieren, um den bis heute umfassendsten Stammbaum der Pflanzen zu rekonstruieren. Der Biologe Prof. Dr. Stefan Rensing von der Philipps-Universität beteiligte sich an der Auswertung der Daten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der „One Thousand Plant Transcriptomes Initiative“ präsentieren ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“.
Die Geschichte der Pflanzen umfasst etwa eine Milliarde Jahre. Zunächst waren es Algen, die durch ihre Chloroplasten in die Lage versetzt wurden, die Lichtenergie der Sonne für sich zu nutzen. Mit anderen Worten: Sie betrieben Photosynthese.
Heute gibt es über 500.000 Pflanzenarten. Ziel der Autorinnen und Autoren war es, die genetischen Grundlagen zu beschreiben, die dazu führten, dass sich im Laufe dieser Entwicklung neue Arten bildeten. „Unsere Untersuchung stützt sich auf das Transkriptom der Pflanzen, also auf die abgelesene genetische Information“, erläuterte Mitverfasser Dr. Kristian Ullrich, der in Marburg die Analyse der Transkriptome durchführte.
Erstmals wurden nicht nur einzelne Teile, sondern die kompletten Transkriptome von insgesamt 1.147 Pflanzenarten analysiert, wodurch sich die Datenbasis erheblich vergrößerte. Der Marburger Biologe Rensing studierte in seinem Teilprojekt die Entwicklung einzelner Genfamilien. Er und seine Kolleginnen und Kollegen aus anderen Universitäten konnten zeigen, dass sich manche dieser Genfamilien im Laufe von Millionen von Jahren vervielfältigten.
Eine der übergeordneten Fragen des Projekts war es, herauszufinden, ob diese Vervielfältigung in Zusammenhang mit bestimmten Schlüsselerrungenschaften im Pflanzenreich steht wie etwa der Entwicklung von Blüten oder Samen. Bislang ging man davon aus, die größte genetische Ausweitung habe beim Übergang zu den Blütenpflanzen stattgefunden, da diese Gruppe heute die meisten Arten umfasst. Die neuen Daten zeigen aber, dass die genetische Grundlage für diese Explosion in der Artenvielfalt bereits viel früher beim Übergang vom Wasser auf das Land gelegt wurde.
„Der Wechsel des Lebensraums vom Wasser zum festen Land bedeutete für die Pflanzen eine überaus dramatische Veränderung der Umwelt“, führte Koautor Rensing aus. Wie die neuen Daten zeigen, stieg damals die genetische Vielfalt stark an; danach bestand sie auf dem erreichten Niveau fort.
Von diesem Moment an lag also schon fast das gesamte genetische Material vor, das erforderlich war, um die Artenvielfalt hervorzubringen, wie sie heute besteht. Dass die massive Expansion der Blütenpflanzen erst viele Millionen Jahre später einsetzte, liegt dem Forscherteam zufolge unter anderem daran, dass es lange Zeit keine geeigneten Umweltbedingungen für deren Ausbreitung gab.
Rensing lehrt Zellbiologie der Pflanzen an der Philipps-Universität und ist assoziiertes Mitglied des Exzellenzclusters „BIOSS Centre for Biological Signalling Studies“ an der Universität Freiburg sowie des Marburger „LOEWE“-Zentrums für Synthetische Mikrobiologie. Der Biologe leitet seit Kurzem ein neues Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das sich mit molekularen Methoden dem Landgang der Pflanzen widmet.
Neben ihm beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Kanada und China, Australien, der Bundesrepublik Deutschland sowie den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) an dem Forschungsvorhaben der „One Thousand Plant Transcriptomes Initiative“. Mit dabei waren unter anderem Teams aus Halle-Wittenberg, Jena und Leipzig sowie Köln. Die DFG sowie zahlreiche Forschungsförderer aus Kanada, China und den USA unterstützten die Forschungsarbeiten.
* pm: Philipps-Universität Marburg