Einheit in Vielfalt: Marburg und Eisenach feierten mit dem Ausländerbeirat

Mit einem Fest der kulturellen Vielfalt hat Marburgerden „Tag der deutschen Einheit“ gefeiert. Dabei klang die Nationalhymne so zart wie nie.
Klare Worte für Demokratie, Einheit, Respekt und Verständigung sowie gegen Rassismus, Rechtsextremismus und gesellschaftliche Risse prägten die offizielle Feierstunde zum 3. Oktober im Haus der Stadtgesellschaft. Marburg und Eisennach feierten ihre 30-jährige Städtepartnerschaft. Zwei in der Integration außerordentlich engagierte Menschen erhielten Stadtsiegel.
Gespielt wurde das Deutschlandlied im Erwin-Piscator-Haus als Haydn-Streichquartett vom Kammerensemble der Marburger Jungen Philharmonie. Die Musiker interpretierten das Stück nicht kraftvoll und entschieden, wie es so oft ertönt, sondern behutsam, anrührend, zart.
Zuvor hatte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies die Gäste der Feierstunde begrüßt, nachdem auch der Bus aus der Partnerstadt Eisenach glücklich am Veranstaltungsort eingetroffen war. Im Großen Saal versammelt hatten sich neben dem Ausländerbeirat als Mitveranstalter der Feierstunde und der Delegation aus Eisenach Marburger Kommunalpolitikerinnen und -politiker, Ehrenbürger und Ehrenbürgerinnen, der Marburger Integrationsbeauftragte Sherif Korodowou, Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Initiativen, die den Tag ebenso mitgestalteten wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger.
„Als am 3. Oktober 1990 die Deutsche Demokratische Republik DDR endete und Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Ostberlin der Bundesrepublik Deutschland beitraten, sprachen nicht wenige vom Ende der Geschichte“, führte der Oberbürgermeister zu Beginn seiner Festrede die Anwesenden zurück in die Geschichte. „Vorausgegangen war ein Jahrhundert von ungeheurer Dynamik, voller tiefgreifender gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und sozialer Umwälzungen. Es war auch das Jahrhundert der Gewalt, der Kriege und des Tiefpunkts menschlicher Zivilisation.“ Der 3. Oktober 1990 sei nicht vom 8. Mai 1945, nicht vom 30. Januar 1933 –
dem Tag der Machtergreifung der Nationalsozialisten – und nicht vom Ende sowie vom Anfang des Ersten Weltkriegs zu trennen. „Wenn wir heute auf die Wiedervereinigung schauen, dann schauen wir nicht nur zurück auf die deutsche Teilung, auf BRD und DDR im Kalten Krieg, auf Versprechungen und Enttäuschungen im Versuch der Umsetzung der großen Ideologien, sondern wir wollen und dürfen die ganze deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht ausblenden“, erklärte Spies..
Geschichte sei vor allem Auftrag, fuhr der Oberbürgermeister fort, „und so ist es dieser Feiertag auch, weil er uns Aufgaben aufgibt“. Über fünf Aufgaben sprach Spies dann von „Wehret den Anfängen“ über das friedliche Zusammenleben aller Menschen in ihrer Vielfalt sowie das Zusammenwachsen von Ost und West, den ehrlichen Umgang mit Gegenwart und Zukunft bis hin dazu, die „bestehenden sozialen Herausforderungen anzugehen. Wir müssen alle Menschen mitnehmen, ihnen Angst und Verunsicherung nehmen und Gewissheit geben, müssen immer wieder ganz konkret nachweisen, dass wir füreinander einstehen“.
Das gehe in den Kommunen am besten, erklärte Spies. „Wir haben gezeigt: Wir sind mehr“. Immer wieder applaudierte der Saal, zum Beispiel als Spies über die 7.500 Menschen sprach, die am Freitag (7. September) zur größten Kundgebung Marburgs seit Jahrzehnten gekommen waren, um gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu demonstrieren.
„Wir haben gezeigt: Wir sind mehr“, fuhr Spies fort. „Marburger ist, wer Marburger sein will.“
Applaus erschallte auch, als der Oberbürgermeister die nach wie vor unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost und West kritisierte: „Wenn Menschen das Gefühl haben müssen, dass ihre Lebensleistung nicht gewürdigt wird, dass ihre Erfahrungen nicht wertvoll sind, dann führt das fast zwangsläufig zu Ärger und Verzweiflung. Die Ungleichheit sowohl im Finanziellen als auch in der Anerkennung und Würdigung der Menschen ist eine der zentralen Herausforderungen für die Demokratie in diesem Land.“
Dass 2018 auch ein „Riss durch unser Land“ geht, obwohl Deutschland nach 28 Jahren schon länger wiedervereinigt ist, als es durch die Mauer getrennt war, konstatierte Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf. Auch sie warnte, diesen Riss nicht allzu leichtfertig zwischen Ost und West allein entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu verorten. Rechtsextremistische Strömungen seien ohne Zweifel in den „fünf neuen Ländern“ besonders ausgeprägt; die Bereitschaft, den Populisten vom rechten Rand die eigene Stimme zu geben, sei aber auch in Baden-Württemberg, in Bayern oder Hessen nicht gering.
Die geistigen Brandstifter seien nicht selten im westlichen Bildungsbürgertum sozialisiert. Wie Spies appellierte Wolf dafür, vielfältige Frustration und Abstiegs- sowie Zukunftsängste in der Gesellschaft als Ganzes wahrzunehmen und nicht übereinander, nicht von oben nach unten, sondern ohne Arroganz und Überheblichkeit auf Augenhöhe miteinander zu sprechen. „Ich bin mir sicher, dass ein wichtiger Schlüssel für die Verteidigung der Demokratie das Gespräch, das Sehen und Gesehen werden sind.“
Ein weiterer wichtiger Schatz auf dem Weg zu Einheit und Verständigung sei die lebendige Städtepartnerschaft, lobte Wolf wie Spies zuvor die 30 Jahre Partnerschaft zwischen Eisenach und Marburg. „Denn Städtepartnerschaften“ –
so die Oberbürgermeisterin – seien die „größte und beste Friedensbewegung der Welt“.
Wie diese Partnerschaft zwischen Marburg und Eisenach gelebt wird, zählte die ehrenamtliche Beigeordnete Heike Apel-Spengler aus Eisenach dann auf. Sie berichtete von Kontakten, Verbindungen, Kooperationen, gemeinsamen Initiativen und Aktionen in den Bereichen Stadtteil, Schule, Kultur und anderen mehr.
„Unser Programm heute ist so bunt und vielfältig wie unsere Stadt“, stellte Goarik Gareyan vom Ausländerbeirat das Motto des Tags der kulturellen Vielfalt rund um das Erwin-Piscator-Haus vor, der seit zwei Jahren mit dem Tag der deutschen Einheit zusammengefeiert wird. Ebenfalls der Ausländerbeirat war es, der Somayeh Mansouri und Pfarrer Ulrich Biskamp für die Auszeichnung mit dem Historischen Stadtsiegel vorgeschlagen hat, dasSpies beiden während der Feierstunde zum 3. Oktober verlieh.
Mansouri ist in vielen verschiedenen Organisationen mit dem Schwerpunkt Migration und Zusammenleben aktiv. Bereits kurz nach ihrem Umzug nach Marburg engagierte sie sich 2010 im Rahmen der Ausländerbeiratswahlen. Sie wurde Mitglied im Beirat und übernahm seit 2014 viele ehrenamtliche Aufgaben des Vorstands.
unter anderen war sie hauptverantwortlich für die Organisation des Tags der kulturellen Vielfalt, „den wir mittlerweile in einer Größe feiern, die mich als Oberbürgermeister stolz macht“, erklärte Spies. Mansouri begleitet und unterstützt zudem junge Studieren aus dem Iran und aus Afghanistan. Sie war unter anderem Bildungsbeauftragte im Landkreis im Projekt „Mozaik“, ist Mitglied der Studenteninitiative Weitblick Marburg, des Deutsch-Iranischen Vereins Marburg und war zwei Jahre als Gesandte des Ausländerbeirats im Netzwerk gegen Diskriminierung in Hessen.
Das zweite Stadtsiegel überreichte der Oberbürgermeister an den Hausherrn des „Kerners“ in der Oberstadt. Pfarrer Ulrich Biskamp gründete 2016 das „Kerner-Netzwerk“ und setzt sich seitdem dafür ein, den traditionsreichen „Kerner“ als Ort der interkulturellen Begegnung wiederzubeleben. „Dafür verdient er große Anerkennung, die wir mit der Auszeichnung heute zeigen möchten“, sagte Oberbürgermeister Spies.
Zusätzlich zu den Veranstaltungen, die es bereits im „Kerner“ gibt, sollen weitere Gebäudeteile für migrantische und interkulturelle Initiativen ausgebaut werden. „Als Mensch und Theologe tritt Pfarrer Biskamp authentisch und unermüdlich für diese Vision der interkulturellen Begegnung ein“, würdigte Spies den Ausgezeichneten. Er öffne „sein Haus“ für den interreligiösen Dialog.
Die Zusammenarbeit mit der Islamischen Gemeinde sei ihm ein besonderes Anliegen. „Damit hat er auf die Frage des Zusammenlebens eine ganz praktische und doch bedeutende Antwort gefunden“, lobte Spies den evangelischen Pfarrer.

* pm: Stadt Marburg

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