„Erzähltes Leben“ heißt eine Reihe im „Politischen Salon“. Ex-Oberbürgermeister Egon Vaupel berichtete dort am Freitag (7. September) aus seinem Leben.
Der Historische Saal im Rathaus war gut gefüllt. Wegen der vorangegangenen Demonstration „Wir sind mehr“ gegen Rechtsextremismus und Gewalt begann die Veranstaltung allerdings mit fast halbstündiger Verzögerung.
Zur Moderation hatte Salon-Gastgeber PD Dr. Johannes M. Becker sich Prof. Dr. Maximiliane Jäger-Gogoll als Verstärkung geholt. Knapp eine halbe Stunde zuvor hatte die Friedensforscherin und Literaturwissenschaftlerin draußen vor dem Rathaus eine beeindruckende Rede zu Rechtspopulismus und einem humanen Umgang mit geflüchteten Menschen gehalten. Gerade für diese Weltoffenheit stehe auch die Stadt Marburg, bedankte sich Becker bei Vaupel für dessen Engagement zugunsten von Flüchtlingen in der Marburger Kommunalpolitik.
Er habe sich immer bemüht, die Menschen mit ihrem jeweiligen Einzelschicksal ernst zu nehmen, erklärte Vaupel. Das habe er im Hinterland gelernt, wo er aufgewachsen ist. Dort habe er immer ein Gedeck mehr auf den Tisch stellen müssen für den – fast nie wirklich eingetretenen – Fall, dass unerwartet jemand käme und mitäße.
„Meine Mutter und mein Großvater haben mich geprägt“, erklärte Vaupel. Beide hätten ihm die Werte vermittelt, die seine Entscheidungen auch heute noch leiten.
Durch seinen Großvater sei er zum Schalke-Fan geworden, berichtete Vaupel: „Mein Opa war Bergmann. Er hat mir Ferien im Ruhrgebiet ermöglicht, wo ich auf Schalke erstmals im Stadion war.“
Der Hamburger Sportverein (HSV) oder Bayern München seien Clubs für die Begüterten, während der FC St. Pauli oder 1860 München eher Vereine für die arbeitende Bevölkerung seien. Gleiches gelte auch für die Eintracht Frankfurt und den FSV.
Immer habe er sich als Gewerkschafter gefühlt und auf der Seite der arbeitenden Bevölkerung gestanden, fuhr Vaupel fort. Mit einer Kaufmännischen Lehre startete er ins Berufsleben. Erst die Liebbe habe ihn schließlich 1972 nach Marburg verschlagen, wo er mangels industrieller Arbeitsplätze seine Bedenken gegen eine Beamtenlaufbahn beiseite schob und eine Ausbildung in der Finanzverwaltung antrat.
Überraschend sei er dann 1999 gefragt worden, ob er nicht für den Posten des Oberbürgermeisters antreten wolle. Nach dieser Karriere habe er damals nicht gestrebt, beteuerte er; „aber eine solche Chance bekommen Sie nur einmal im Leben“.
Letztlich habe er – zunächst als Bürgermeister – dann das meiste in der alltäglichen Praxis lernen müssen, erläuterte Vaupel. Als zuständiger Dezernent für Schule und Kultur sei das eine echte Herausforderung gewesen. „Das Letzte, was ich mit Schule zu un hatte, war der Blaue Brief meines Sohnes“, spöttelte er.
Allerdings habe ihm der Umgang mit Menschen immer viel Freude bereitet. Das gelte zwar nicht unbedingt für jede Bürgerversammlung, wo mit harten Bandagen argumentiert werde, aber „das muss man als Politiker aushalten“.
Auseinandersetzung gehöre im politischen geschäft halt dazu, meinte er. Am schwierigsten gewesen sei sie aber mit Mitgliedern der eigenen Partei, weil sie oft zu hohe Erwartungen mitbrächten. „Jede Bürgerin und jeder Bürger ist gleich“, betonte Vaupel gerade auch im Hinblich auf die Wünsche der eigenen Parteifreunde.
Die Beschäftigten habe er aufgefordert, mögliche Ermessensspielräume immer zugunsten der Bürger zu nutzen. Menschlichkeit und Solidarität habe er auch durch symbolische Handlungen vorzuleben versucht, erklärte Vaupel. „Der Weltladen musste vom Roten Graben hier auf den Markt“, veranschaulichte er diese Symbolpolitik an einem konkreten Beispiel.
„Wemm ich die neue Universitätsbibliothek sehe, freue ich mich sehr“, meinte Vaupel. „Das war wirklich ein hartes Stück Arbeit; aber es hat sich gelohnt.“
Zur aktuellen Politik wollte sich der frühere Oberbürgermeister nicht äußern. Doch zeigte er sich davon überzeugt, dass Städte in Zukunft weitgehend autofrei werden müssen. Die Stadtautobahn B3A sollte am besten auch unter der Erde verschwinden, wünschte er sich.
Für seine Arbeit als Oberbürgermeister der Stadt Marburg habe Vaupel einen hohen Preis bezahlen müssen, meinte eine Besucherin in Anspielung auf seine Herzerkrankung. Dieser Sichtweise widersprach Vaupel jedoch energisch: „Der Grund war nicht meine Arbeit, sondern mein schlechtes Gesundheitsmanagement: Ich bin eben nicht früh aufgestanden und habe gejoggt, sondern stattdessen zu viel geraucht.“
Letztlich zeigte sich Vaupel aber sehr zufrieden mit seinem Leben: „Es ist wirklich ein Glück, so viele tolle Menschen kennengelernt und so viel erlebt zu haben.“ Minutenlanger Applaus am Ende der Veranstaltung bewies, dass Vaupels Sympathie von den allermeisten im Saal mit mindestens der gleichen Zufriedenheit erwidert wurde.
* Franz-Josef Hanke