„Wenn ich was zu sagen hätte, käme das Bild weg“, hatte Egon Vaupel vor rund 40 Jahren beim Anblick des Gemäldes im Historischen Saal des Rathauses gedacht. „Das darf nie weg“, sagt er heute.
Über die Geschichte des Gemäldes „Der Weg des Lebens“ von Carl Bantzer sprach der ehemalige Oberbürgermeister am Samstag (18. Februar) anlässlich einer Lesung im Historischen Saal. Dort las Vaupel aus dem Kinderbuch „Fast wie eine Zeitreise: Geschichten vom Marburger Rathausgockel“ von Ute Schneidewindt.
Das Bild hatten die Brüder Strauß 1930 ihrer Heimatstadt gestiftet. Schon wenige Jahre später mussten sie Marburg wegen ihrer jüdischen Herkunft verlassen. Daran erinnere dieses – in seiner Darstellungsweise durchaus kritisierenswerte – Gemälde an dieser prominenten Stelle, erklärte Vaupel.
Drei Kapitel aus Schneidewindts Kinderbuch las der frühere Oberbürgermeister am Samstagnachmittag im Historischen Saal des Rathauses vor. Dort befand er sich am Ort des Geschehens der Erlebnisse von Anna-Lena und der Tochter des Konditormeisters. Die beiden Mädchen erkunden das Rathaus und erfahren viele alte Geschichten vom Rathausgockel.
Anna-Lena vertreibt die Tauben, die den Rathausgockel angreifen. Er redet mit ihr und erzählt ihr viele Geschichthten aus seinem Langen Leben auf dem Dach des Rathauses.
Bereits im Oktober 2010 hatte Schneidewindt ihr erstes Kinderbuch „Fast wie im Himmel – Geschichten von der Linde in Himmelsberg“ beim Burgwald-Verlag veröffentlicht. Bei der Marburger Verlagsgesellschaft erschien im November 2016 in ähnlicher Machart das Kinderbuch über den Rathausgockel und seine Wirkungsstätte. Illustrationen dazu hatte Rachel Hunter beigesteuert.
Wilfried Hahn berichtet Anna-Lena von seinen Erlebnissen. Im Keller des Rathauses findet sie auch einen Spiegel, der ihr Fragen zur Geschichte des Rathauses beantwortet.
In diesem alten Keller befinden sich auch die Arrestzellen, wo die Statd während der Nazi-Zeit Kritiker der NS-Diktatur gefangenhielt. Auch davon erzählt das Kinderbuch.
Es erklärt Demokratie und Diktatur. Diese Erklärung ist so einfach wie einleuchtend: In einer Demokratie haben alle was zu sagen; in einer Diktatur nur ein einziger.
Dieses kindgerechte Plädoyer für Demokratie griff Vaupel bei der Lesung auf. Nachdrücklich bekräftigte er die Notwendigkeit, dass jede und jeder Einzelne sich für die Demokratie einsetzen müsse.
Mit vielen Anekdoten aus seiner fast 20-jährigen Zeit als Bürgermeister und Oberbürgermeister würzte Vaupel die Lesung. Er beschrieb das Uhrwerk unter dem Dach und die kleine Klappe mitten im Zifferblatt der Rathausuhr.
Verleger Erich Schumacher ging auf die Anregung einer auswärtigen Besucherin ein, das Buch auch über die Tourist-Information zu vermarkten. Dort habe man den Vertrieb des Kinderbuchs jedoch abgelehnt, berichtete er. Das müsse aber nicht so bleiben, wenn viele Interessierte dort danach fragten, meinte Vaupel daraufhin. *
Franz-Josef Hanke