Eine „Brückenbauerin“ erhält die höchste Auszeichnung des Landkreises. Der Landrat ehrt Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch mit dem „Kreislöwen“.
Für ihren herausragenden Einsatz – insbesondere rund um die ehemalige Landsynagoge in Weimar-Roth – hat Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch aus Marburg den „Kreislöwen“ des Landkreises Marburg-Biedenkopf erhalten. Landrat Jens Womelsdorf überreichte ihr die Auszeichnung am Dienstag (12. November) im Marburger Landratsamt. Mit ihrem Engagement leistet die Geehrte nicht nur einen großen Beitrag zur Bewahrung der Jüdischen Geschichte in der Region, sondern setzt sich für Toleranz und den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Der „Kreislöwe“ ist die höchste Auszeichnung des Landkreises. Wenz-Haubfleisch ist Gründungsmitglied des – 1996 ins Leben gerufenen –
Arbeitskreises Landsynagoge Roth und nahm dabei bis 1998 auch die Funktion als erste Vorsitzende wahr. Seit 2011 ist sie erneut Vorsitzende des Vereins. In den Jahren 1996 bis 1998 hat sie gemeinsam mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf zudem die Restauration der Landsynagoge begleitet und unterstützt.
Ihr Engagement umfasste zudem den Aufbau und die Förderung von Kontakten sowie der Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen. Darunter waren die Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit in Marburg, die „Landesgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit“ sowie die Muslimische Gemeinde Marburg.
„Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch ist eine wichtige Brückenbauerin zwischen den Religionen“, machte Landrat Jens Womelsdorf deutlich. „Die ehemalige Landsynagoge ist ein bedeutender außerschulischer Lernort im Landkreis und dient zudem als Mahnmal der schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Erinnerung an diese Verbrechen muss aufrechterhalten werden genauso wie die Erinnerung an das jüdische Leben im Landkreis. Und in Zeiten, in denen die Spaltung der Gesellschaft zunimmt, sind Toleranz, Verständnis und Miteinander umso wichtiger. Dafür setzt sich Annegret Wenz-Haubfleisch ein. Und deshalb überreiche ich ihr mit großer Freude die höchste Auszeichnung des Landkreises.“
Als eine „ausgezeichnete Wahl“ für den „Kreislöwen“ bezeichnete der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert die Geehrte. Wie sie sich für Werte wie Toleranz und Miteinander einsetze, sei beispielhaft. Die ehemalige Landsynagoge in Roth sei ein ganz wichtiger Ort der Erinnerung im Landkreis und auch darüber hinaus. Mit ihrer „unerschöpflichen Kreativität“ trage Wenz-Haubfleisch in hohem Maße dazu bei, dass die Bildungsarbeit des Arbeitskreises lebendig bleibe.
Wenz-Haubfleisch organisiert und leitet zudem Führungen in der Landsynagoge und zum jüdischen Friedhof in Roth, wobei sie diese Führungen auch in englischer Sprache anbietet. Zudem verhandelt sie mit Referentinnen und Referenten sowie Künstlerinnen und Künstlern, die beispielsweise bei Gedenkveranstaltungen mitwirken, die sie ebenfalls organisiert. Außerdem kümmert sie sich um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Arbeitskreises.
2013 initiierte sie die Verlegung von Stolpersteinen in Roth, Dazu schrieb sie auch die Gedenkbroschüre „Namen und Schicksale“. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
Ein weiteres Beispiel für den außerordentlichen Einsatz Wenz-Haubfleischs für die Landsynagoge ist ihre Initiative zur virtuellen Rekonstruktion der Landsynagoge Roth durch den Architekten Dr. Marc Grellert im Jahr 2023. So lässt sich mit Hilfe einer VR-Brille der Innenraum des Gebäudes vor der Zerstörung sehen. Zudem zeichnete sie für die Organisation eines Festwochenendes im Juni 2023 anlässlich der Eröffnung der restaurierten Landsynagoge vor 25 Jahren verantwortlich.
Außerdem ist sie Ansprechpartnerin für die Gesamtschule und die Ricarda-Huch-Schule in Gießen. Beiden Schulen dient die ehemalige Landsynagoge als außerschulischer Lernort. Seit über vierzig Jahren pflegt Wenz-Haubfleisch zudem einen engen Kontakt mit den Überlebenden und Nachkommen der jüdischen Familien aus Roth.
„Diese Auszeichnung gilt der Arbeit des gesamten Vereins“, machte Wenz-Haubfleisch deutlich. „Ich nehme sie nur stellvertretend für die vielen Menschen des Arbeitskreises entgegen, die oft seit Jahrzehnten mit hohem persönlichem Einsatz die Vereinsarbeit gestalten.“
Gleichzeitig freue sie sich natürlich sehr über die Ehrung. Sie fühle sich auch dem Landkreis Marburg-Biedenkopf zu großem Dank verpflichtet, der alle notwendigen und möglichen Wege beschritten habe, um die Restaurierung der Synagoge zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit sei all die Jahre von Unterstützung und Vertrauen geprägt gewesen.
Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus nähmen derzeit wieder zu. Das bereite ihr große Sorgen und stelle auch den Verein vor Herausforderungen. „Je länger die Zeit des Nationalsozialismus zurückliegt, umso mehr ist Vorsicht geboten, dass die Erinnerung daran nicht verblasst und die Lehren daraus auch den jüngeren Generationen vermittelt werden“, betonte sie.
Toleranz, Demokratie und Menschenwürde seien nicht selbstverständlich. Man müsse sich dafür kontinuierlich politisch und gesellschaftlich einsetzen. „Diese Auszeichnung wird mir und dem Verein auch eine Verpflichtung sein“, erklärte sie.
Der „Kreislöwe“ wird gemäß der Ehrensatzung des Landkreises Marburg-Biedenkopf als Anerkennung und Dank an Personen verliehen, die sich in langjährigem Wirken besondere Verdienste um die Pflege und Förderung der wirtschaftlichen, sozialen, geschichtlichen oder kulturellen Werte des Kreises erworben haben. Sie sollen als Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, Technologie, Kultur, Wissenschaft, Bildung, Politik oder des Sports dem Namen des Kreises zu besonderem Ansehen verholfen haben.
* pm: Landkreis Marburg-Biedenkopf