Nicht still: Rätsel um Kaliumkanal gelöst

Die Physiologie hat das Rätsel um den „stillen“ Kaliumkanal gelöst. Ihre Forschungsarbeit könnte zu nebenwirkungsärmeren Medikamenten führen.
Ein jahrzehntelang als „still“ oder gar „tot“ bezeichneter Kaliumkanal in der Zellmembran menschlichen Gewebes hat doch eine entscheidende physiologische Funktion. Der als „TASK-5“ bekannte Kaliumkanal moduliert nämlich die Funktion verwandter Kanäle, was konkrete Auswirkungen auf Volkskrankheiten wie Vorhofflimmern, pulmonal-arteriellen Bluthochdruck, Schlafapnoe bis zu Krebs haben kann. „Damit bietet TASK-5 einen Angriffspunkt für Medikamente gegen diese Erkrankungen“, sagte Prof. Dr. Niels Decher vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Philipps-Universität.
Mehr noch: Da TASK-5 in verschiedenen genetischen Variationen vorkommt, kann nun abgeschätzt werden, ob ein Medikament im Menschen wirkt oder nicht. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, für diese Erkrankungen nebenwirkungsärmere Medikamente zu entwickeln. Die Forschenden um die Erstautor*innen Privatdozentin Dr. Susanne Rinné und Florian Schick unter der Leitung von Decher berichten über ihren Befund im Fachmagazin „Nature Communications“.
„So einen Ionenkanal muss man sich vorstellen wie einen winzigen, selektiven Tunnel in der Zellmembran, der sich öffnet und schließt, um spezifische Ionen hindurchzulassen und dadurch elektrische Signale oder zelluläre Funktionen zu steuern“, erklärte Rinné. Kalium-Ionenkanäle in Zellmembranen sind entscheidende Akteure im Stoffwechsel und bei der Kommunikation von Zellen im Gewebe. Sie transportieren geladene Kalium-Atome – sogenannte „Kalium-Ionen“ – selektiv durch die Membran. Aufgrund dieser hohen Relevanz für die gesunde oder pathologische Gewebefunktion haben Forschende sich jahrzehntelang mit diesen Kanälen beschäftigt, deren Funktion detailliert beschrieben und diese Ionenkanäle in Gruppen und Familien unterteilt.
Von den – in der aktuellen Studie untersuchten – Kaliumkanälen wissen die Forschenden und die pharmazeutische Industrie beispielsweise, dass der „TASK-1“ genannte Kanal hochrelevant für pulmonalen Bluthochdruck und Vorhofflimmern ist, „TASK-3“ für manche Krebserkrankungen, nur „TASK-5“ blieb ein Rätsel. „Und das seit seiner Entdeckung vor über zwanzig Jahren“, berichtete Decher. „TASK-5 blieb rätselhaft, da er in verschiedenen menschlichen Geweben vorkommt, seiner Aufgabe – Kalium-Ionen zu transportieren – aber nicht nachkommt“, ergänzte Rinné. In ihren Untersuchungen konnten die Forschenden das Rätsel lösen. TASK-5 sucht gewissermaßen Familienanschluss, um sein Schweigen zu brechen. TASK-5 lagert sich dabei mit TASK-1- oder TASK-3-Kanälen zusammen.
Im Doppelpack – Forschende sprechen dabei von „heterodimeren Kanälen“ –
moduliert TASK-5 die Funktion und Medikamenten-Empfindlichkeit des Kanalpartners. „Das Besondere an diesen Ionenkanälen ist, dass sie sehr vielversprechende Angriffspunkte für Medikamente darstellen“, erläuterte Decher. Eine Vielzahl an Forschenden in Universitäten und Pharmaunternehmen versuchen, die Funktionsweise und Pharmakologie dieser sogenannten K2P-Kanäle, zu denen die TASK-Kanäle gehören, zu verstehen und in die therapeutische Anwendung zu bringen.
Die habilitierte Erstautorin Rinné gilt laut dem Bewertungsportal „Expertscape“ in Bezug auf ihre Publikationsliste derzeit als die weltweit führende Forschende auf dem Gebiet der K2P-Kanäle. Decher leitet die Arbeitsgruppe „Vegetative Physiologie“ am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Neben seiner Arbeitsgruppe beteiligten sich weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Marburg an der Studie. Ferner gab es eine enge Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Silke Kauferstein vom Zentrum für plötzlichen Herztod und Kardiogenetik in Frankfurt sowie mit Dr. Thomas Müller von der Bayer AG in Wuppertal.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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