Auf einer Streuobstwiese leben bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten. Auf Streuobstwiesen wachsen Äpfel, Birnen und Pflaumen an alten knorrigen Bäumen.
In Mittelhessen gibt es noch solche klassische Streuobstwiesen. Meist liegen sie am Ortsrand. Seit der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2022 sind sie inzwischen in allen deutschen Bundesländern geschützte Biotope.
In Hessen wurden sie schon vorher durch das Hessische Naturschutzgesetz geschützt. „Als Streuobstwiese im Sinne des Gesetzes wird ein Grünlandbestand von mindestens 1.500 Quadratmetern mit mindestens neun Obstbäumen, die im Abstand von circa zehn Metern stehen, definiert“, erklärte Stefanie Specht vom Dezernat für Schutzgebiete des Regierungspräsidiums (RP) Gießen. „Streuobstwiesen wurden angelegt, um gleichzeitig Obst und Tierfutter in Form von Heu oder Weidegras zu produzieren. Als Obstbäume wurden Hochstämme gepflanzt, sodass die Baumkrone in einer Höhe beginnt, die eine Bewirtschaftung des Grünlandes darunter zulässt.“
Für die Tierwelt hat das den Vorteil, dass diese Obstbäume sehr alt werden können und Baumhöhlen ausbilden, in denen Höhlenbrüter wie Grünspecht, Wendehals oder Steinkauz brüten können und die auch von Fledermäusen und anderen Kleinsäugern gerne genutzt werden. Gleichzeitig bietet das extensiv genutzte Grünland Lebensraum für eine vielfältige Pflanzengesellschaft und etliche Tierarten. Darunter sind gefährdete Schmetterlingsarten, Libellen und Reptilien.
„Insgesamt können auf Streuobstwiesen bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten leben“, erläuterte die Expertin. Darunter befinden sich auch einige der sogenannten „Klimaverlierer-Arten“. Das sind verschiedene Tier- und Pflanzenarten, die durch die Folgen des Klimawandels beeinträchtigt werden können.
Aber Specht weiß auch: Streuobstwiesen machen viel Arbeit, das Mähen mit großen landwirtschaftlichen Maschinen ist schwer bis unmöglich. Deswegen wurden sie bereits in den 50er Jahren häufig gerodet oder aufgegeben.
„Dieser Trend wurde glücklicherweise durch die Unterschutzstellung gestoppt“, berichtete Specht. „Doch gefährdet sind diese wertvollen Biotope nach wie vor. Inzwischen gibt es zwar wieder Fans der alten Obstsorten und es wird auch wieder mehr gekeltert. Aber stellenweise findet sich keiner für die Baumpflege oder Nachpflanzungen. Schwierig ist es mancherorts auch, geeignete Nutzer für das Grünland zu finden.“
Durch die Mahd mit dem Rasenmäher werden die Wiesen immer artenärmer. Bei Beweidung kann es passieren, dass bei falschem Weidemanagement oder fehlendem Baumschutz für neu gepflanzte Bäume die Rinde der Obstbäume geschält wird, was früher oder später zum Absterben der Bäume führt.
Neben den Streuobstwiesen sind Steinriegel und Trockenmauern sowie Alleen wichtige Biotope, die es zu schützen gilt. Steinriegel entstanden durch das Absammeln der Steine von den Ackerflächen. Trockenmauern wurden eher bewusst errichtet, um Hänge zu terrassieren.
„Beide haben gemeinsam, dass Steine meist aus der näheren Umgebung ohne Mörtel aufgesetzt wurden und zahlreiche Hohlräume in unterschiedlichen Größen entstanden“, erklärte die RP- Mitarbeiterin. „In diesen können Insekten, Schnecken und Reptilien wohnen. Entlang dieser Strukturen entwickeln sich Altgrasstreifen und Staudensäume, die kleinen Tieren Deckung bieten und als Wanderkorridore dienen können.“
Da diese – auf kleinem Raum sehr vielfältigen – Biotope eine Flächenbearbeitung mit großen Maschinen erschweren, wurden sie ebenfalls häufig entfernt – der besondere Lebensraum ging dabei verloren. Gleiches gilt für Alleen: Oft fielen sie Straßenbaumaßnahmen zum Opfer; oft wurden abgestorbene Bäume nicht ersetzt.
„Typische Alleen sind mindestens 100 Meter lang“, betonte die RP-Mitarbeiterin. „Was beim Durchfahren sicherlich auf den ersten Blick nicht auffällt: Hier leben viele Insektenarten. Viele – auch seltene –
Arten, sind überhaupt nur noch in alten Alleen zu finden. Auch als Brutplatz für Vögel und Leitstruktur für Fledermäuse sind sie von großer Bedeutung.“
Ein Erhalt solch besonderer Biotope kann das Überleben seltener Tierarten gewährleisten. Auch deshalb sind sie unbedingt schützenswert. In Marburg gibt es mehrere Alleen mit alten Bäumen wie die Universitätsstraße, die Frankfurter Straße und die Biegenstraße. Der „Heilige Grund“ in Ockershausen ist als Streuobstwiese auch Ziel naturkundlicher Exkursionen und Saftkelteraktionen.
* pm: Regierungspräsidium Gießen