Eine neu entdeckte Proteinfunktion beeinflusst die Zellatmung. Ein internationales Team führt die unterschiedliche Spezifität nah verwandter Proteine auf feine Strukturunterschiede zurück.
Das Geheimnis blieb 50 Jahre unentdeckt: Zusätzlich zu der schon seit langem bekannten Funktion bei der Hormonproduktion erfüllt „Ferredoxin 1“ (FDX1) weitere, bislang unbekannte Aufgaben, die der Energieumwandlung in den Mitochondrien dienen. Das hat eine länderübergreifende Forschungskooperation unter Marburger Federführung herausgefunden, indem sie FDX1 mit modernsten molekularen Werkzeugen untersuchte.
Dabei stellte sich auch heraus, dass ein potenzielles Krebsmedikament anders wirkt als bisher gedacht. Das Team berichtet im Fachblatt „Nature Chemical“ Biology“ über seine Ergebnisse.
Ferredoxin-Proteine übernehmen den Elektronentransport bei Energieumwandlungen, etwa bei der Zellatmung und bei der Photosynthese. „Die Bedeutung der Ferredoxine beim Menschen zeigt sich in schweren genetischen Erkrankungen wie mitochondrialer Myopathie und sensorischen Neuropathien“, erläuterte der Marburger Zellforscher Prof. Dr. Roland Lill, der die Forschungsarbeiten leitete.
Die beiden Ferredoxine des Menschen – „FDX1“ und „FDX2“ – beschränken sich strikt auf je eigene, unterschiedliche Substrate, mit denen sie arbeiten. Während die Aufgabe von FDX1 bei der Erzeugung von Steroidhormonen schon seit 1967 bekannt ist, studierte Lill mit seiner Arbeitsgruppe seit Jahren die Struktur und Funktion des verwandten FDX2. Nach und nach zeigte das Team, dass FDX2 an zwei Schritten der Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern beteiligt ist, ohne die zahlreiche lebenswichtige Enzyme nicht funktionieren.
Nunmehr nahm sich die Gruppe um Lill das andere Ferredoxinprotein FDX1 vor, um zu überprüfen, ob es ebenfalls etwas mit der Bildung von Eisen-Schwefel-Clustern zu tun hat. Das Team nutzte die zielgenaue Veränderung der DNA mittels CRISPR-Cas9, um das FDX1-Gen auszuschalten.
„Überraschenderweise wiesen die betroffenen Zellen einen starken Wachstumsdefekt auf“, berichtete Lill. „Zwar erwies sich die Eisen-Schwefel-Proteinbiogenese dieser Zellen ohne FDX1 als absolut normal“, ergänzte Mitverfasser Dr. Oliver Stehling aus Lills Labor. „Aber wir fanden heraus, dass die Zellen nicht in der Lage sind, Liponsäure herzustellen, einen wichtigen Faktor, der für etliche Aufgaben der Mitochondrien gebraucht wird, zum Beispiel für den Zitronensäurezyklus.“
Aufgrund der fehlenden Liponsäure funktioniert die Zellatmung nicht mehr, was die Wachstumsstörungen erklärt. Weitere Untersuchungen galten dem verheißungsvollen Krebshemmer „Elesclomol“. „Wir fanden heraus, dass der Wirkstoff sich nicht – wie behauptet – gegen FDX1 richtet, sondern stattdessen die Liponsäuresynthase beeinflusst“, sagte Lills Mitarbeiter Dr. Vinzent Schulz als Erstautor der Studie.
Worauf beruhen nun die auffälligen Vorlieben der beiden Ferredoxine für ihr jeweiliges Ziel-Substrat? Wie die Gruppe feststellte, geht die Substratspezifität auf kurze unterschiedliche Abschnitte der Aminosäure-Sequenz der beiden Proteine zurück.
„Diese feinen strukturellen Details liefern den Grund dafür, dass sich FDX1 und FDX2 trotz ihrer – großen Ähnlichkeit – so deutlich hinsichtlich ihrer Reaktivität unterscheiden“, führte Lill aus. „Wir konnten sogar die Spezifität der beiden Proteine umdrehen, indem wir diese kleinen Stücke zwischen den beiden Ferredoxinen austauschten.“
Lill leitet das Institut für Zytobiologie und Zytopathologie der Philipps-Universität und gehört dem Marburger „LOEWE-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie“ an. Zudem amtiert er als Vizepräsident der Von-Behring-Röntgen-Stiftung.
Der Biochemiker ist Träger des Leibnizpreises. Das ist der am höchsten dotierte deutsche Wissenschaftspreis.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Lills Arbeit derzeit durch das „Reinhard-Koselleck-Programm“, das besonders wagnisreiche Forschungsprojekte unterstützt. An der Publikation beteiligten sich neben Lills Arbeitsgruppe und dem Chemiker Prof. Dr. Lars-Oliver Essen von der Philipps-Universität auch Wissenschaftler der Universitäten in Grenoble sowie Pennsylvania in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Die DFG, das europäische COST-Programm und weitere Fördereinrichtungen unterstützten die Forschungsarbeit finanziell.
* pm: Philipps-Universität Marburg