Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg besuchten in der „Woche des Sehens“ den BliStACampus. Für ihr Engagement hat die blinde Tibetologin 2009 das Marburger Leuchtfeuer erhalten.
Fasziniert verfolgten rund 70 Schülerinnen und Schüler am Donnerstag (13. Oktober) den Vortrag von Sabriye Tenberken. Die ehemalige BliStA-Schülerin berichtete, wie sie als Kind ihre Erblindung erlebt hatte und wie sie, obgleich sich Spielkamerad*innen abwendeten, schließlich die Angst vor der völligen Erblindung und der Einsamkeit verlor.
Auf die Idee, sich die Fragen zu Behinderung und Einschränkungen neu und ganz anders zu stellen, habe sie die Lektüre der afroamerikanischen Philosophin Angela Davis gebracht Als Symbolfigur der Black-Power-Bewegung habe Davis sie mit der Botschaft des Slogans „Black is beautiful“ vertraut gemacht. Die Botschaft kam bei dem erblindenden Mädchen an und passte gut zu ihren eigenen Überlegungen.
Tenberken übertrug sie für sich in „Blind is beautiful“. „Was ist das Tolle daran, blind zu sein?“, fragte die Tibetologin und Gründerin der ersten tibetischen Blindenschule auf Englisch in die große Runde der Schüler*innen aus der Montessori-Schule und dem Carl-Strehl-Gymnasium.
Dann erzählte die Preisträgerin des Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte, was ihr damals in den eigenen Kindertagen dazu eingefallen war: „Wenn abends im Kinderschlafzimmer das Licht ausgemacht wurde, musste mein Bruder schlafen. Ich aber konnte meine Braillebücher unter der Decke weiterlesen.“
Viele Dinge, wie Vokabeln oder Sachinformationen, könne man sich viel besser merken. Sie selbst habe zum Beispiel gelernt, besonders klar zu kommunizieren, weil sie auf Mimik und die Gesten verzichten muss. Als brillante Rednerin, engagierte Problemlöserin und motivierende Visionärin erhielt Tenberken bereits während des Vortrags viele Zeichen der Zustimmung.
„Die wichtigste Frage in eurem Leben ist doch die Frage, wohin ihr wollt und was ihr erleben möchtet“, fuhr Paul Kronenberg fort. Zusammen mit Tenberken hat er das Bildungszentrum „Braille Ohne Grenzen“ in Tibet aufgebaut. Seit 2009 leitet er mit ihr das „kanthari International Institute für Leadership und Social Change“ im südindischen Kerala.
Dort begleite man Sozialvisionär*innen aus der ganzen Welt in einem siebenmonatigen Leadership-Training. Über 160 Projekte seien daraus hervorgegangen, die auf die eine oder andere Weise gesellschaftliche Veränderungen initiieren.
Der Name „kanthari“ gehe zurück auf eine besonders scharfe Chilischote als Symbol für die Menschen, die als „Change Maker“ Veränderungen in sozialen und ökologischen Bereichen bewirken. „Ich bin sehr begeistert über die vielen Sachen, die Sabriye Tenberken anspricht“, sagte eine Schülerin. „Ich habe das Gefühl, sie öffnet mir die Augen und erklärt, dass man Sachen wirklich auch umsetzen kann.“
Ihre Freundin erzählte: „Ich bin geburtsblind und habe mir auch schon ganz ähnliche Gedanken gemacht. Aber ich konnte sie so bislang nicht benennen.“
Einer der Schüler fragte: „Stimmt es wirklich, dass Sie mit dem blinden Mount-Everest-Bezwinger Erik Weihenmayer und einer Schüler*innengruppe auch auf den Mount Everest gestiegen sind?“ Er berichtete, dass es über die Besteigung des kleineren Nachbargipfels sogar ein Video gibt, das man in YouTube findet.
„Wie haben Sie es geschafft, alleine nach Indien zu reisen?“ – Die spannende Frage einer Schülerin beantwortete Tenberken in ihrer schönen, klaren Form: „Der Knackpunkt war, dass ich mir vorher nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht habe, was schiefgehen könnte. Wichtige Grundlage aber war es, die Sprache zu sprechen, Pläne zu haben und auch einen Plan B. Versucht es einfach mal!“
Tenberken und Kronenberg besuchten die BliStA in der „Woche des Sehens“ in freundschaftlicher Begleitung des ehemaligen CSS-Lehrers Hans Junker. Sie kamen auf Einladung des BliStA-Vorstands Patrick Temmesfeld und des Schulleiters Peter Audretsch von der Carl-Strehl-Schule (CSS).
* pm: Deutsche Blindenstudienanstalt