Opium stillt Schmerzen, indem es Ionenkanäle in schmerzempfindlichen Zellen blockiert. Daher empfehlen sich diese Kanäle als Ansatzpunkte einer Schmerzbehandlung, die ohne Opium auskommt.
Das zeigt eine Forschungsgruppe aus der Marburger Universitätsmedizin gemeinsam mit deutschen und amerikanischen Beteiligten in einer aktuellen Studie. Das Team um den Biologen Prof. Dr. Johannes Oberwinkler vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Philipps-Universität klärte das Zusammenwirken von Molekülen auf, die an der Schmerzempfindung beteiligt sind. Die Ergebnisse sind soeben im Forschungsmagazin „e-Life“ erschienen.
Opium ist das effektivste Mittel gegen Schmerzen. Der Saft des Schlafmohns bringt jedoch gravierende Nebenwirkungen mit sich: neben der Abhängigkeit sind das zum Beispiel Verstopfung und Atembeschwerden.
Das Betäubungsmittel lindert Schmerzen, indem seine Bestandteile an Opioidrezeptoren koppeln. „Wie die zellulären Mechanismen funktionieren, durch die Opioidrezeptoren auf die Schmerzempfindlichkeit der Haut wirken, war bislang nicht bekannt“, erklärte Oberwinkler. Er leitete die Untersuchungen.
Opioidrezeptoren kommen unter anderem in denjenigen Sinneszellen vor, die Schmerzsignale weiterleiten. In den Lebenswissenschaften nennt man diese Zellen „Nozizeptoren“.
Sinnesempfindungen beruhen auf elektrischen und chemischen Signalen. Voraussetzung dafür ist die Aktivität von Proteinen, die als Kanalproteine bezeichnet werden, weil sie elektrisch geladene Teilchen aus einer Zelle nach außen oder nach innen schleusen, so dass sich eine elektrische Spannung auf- oder abbaut. In den schmerzempfindlichen Sinneszellen oder Nozizeptoren sind an diesem Vorgang unter anderem sogenannte „TRPM3-Kanäle“ beteiligt.
Welche Bedeutung haben diese Ionenkanäle für die Schmerzstillung durch Opium und verwandte Substanzen? Lässt sich die nebenwirkungsreiche Verabreichung von Opium umgehen, wenn man schmerzlindernd auf die Nozizeptoren einwirken möchte? Die Forschungsgruppe um Oberwinkler stellt in ihrer Studie eine Verbindung zwischen Opioidrezeptoren, die unmittelbar mit dem Opiumbestandteil Morphin interagieren, und den TRPM3-Kanälen her, die in denselben Zellen lokalisiert sind.
Um herauszufinden, welchen Einfluss die TRPM3-Kanäle auf das Schmerzempfinden ausüben, führten Oberwinkler und sein Team Experimente an Zellkulturen durch: Sie aktivierten Opioidrezeptoren, indem sie Morphin zusetzten. Dieser Opiumbestandteil ist seit langem als Kopplungspartner der Rezeptoren bekannt.
Außerdem testete die Forschungsgruppe die Wirkung der morphinähnlichen, synthetischen Substanz „DAMGO“. Das Ergebnis beschrieb sie in ihrer aktuellen Veröffentlichung.
Schaltet man Opioidrezeptoren an, indem man sie durch Morphin oder DAMGO reizt, so hemmen sie die Aktivität der TRPM3-Kanäle. Sie sind dann zum Beispiel weniger durchlässig für Kalzium- und Natrium-Ionen als normalerweise. Wie die Forschungsgruppe weiter ermittelte, lassen sich auf diese Weise Schmerzempfindungen tatsächlich lindern.
Das Team identifizierte darüber hinaus weitere Moleküle, die an der Wechselwirkung zwischen Opioidrezeptoren und TRPM3-Kanälen beteiligt sind. Diese Moleküle vermögen die Kanalproteine ebenfalls zu hemmen.
Die Schlussfolgerung verspricht neue Möglichkeiten der Schmerztherapie. Wenn es gelingt, die TRPM3-Kanäle auf andere Weise als durch Opiumbestandteile zu blockieren, erzielt man ebenfalls schmerzstillende Ergebnisse, aber unter Umständen mit weniger nachteiligen Folgen als bei einer Opiumverabreichung.
„Bei Mäusen zeigen sich keine unerwünschten Nebenwirkungen, wenn ihnen das TRPM3-Gen fehlt“, führte das Autorenteam um Oberwinkler dazu aus. „Medikamente, die sich gegen TRPM3-Kanäle richten, könnten daher ein brauchbares Mittel gegen Schmerz sein.“
Oberwinkler leitet die Arbeitsgruppe Molekulare Physiologie am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität. Neben ihm und seinem Team sind weitere Forscher der Philipps-Universität sowie aus Freiburg, Göttingen, Homburg, Mannheim, Tübingen, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) an der Veröffentlichung beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Max-Planck-Gesellschaft sowie die Nachwuchsakademie MARA der Universität förderten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziell.
* pm: Philipps-Universität Marburg