Besonderer Befund: Abstimmung von Zellen an der „Wahlurne“

Wie beeinflussen Einzelzellen die Reaktion ihrer Kolonie? Das hat ein Forschungsteam aus der Mikrobiologie aufgeklärt.
Je nachdem, wie es Zellen in Bakterienkolonien geht, geben sie Signalstoffe in schnellerem oder langsamerem Takt nach außen ab; auf diese Weise passen sie das Verhalten der Kolonie als Ganzes an ihre Wachstumsbedingungen an. Das hat ein Team aus der Mikrobiologie herausgefunden, indem es die Aktivität eines beteiligten Gens verfolgte.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Marburger Forschungszentrums „SYNMIKRO“, des Biozentrums der Universität Basel und der Universität Bonn berichten im Forschungsmagazin „Nature Communications“überihre Ergebnisse. Viele Bakterien scheiden Signalmoleküle aus, deren Konzentration in der Umgebung steigt, wenn die Anzahl der Bakterienzellen zunimmt.
„Nach gängiger Lehrmeinung dient die Sekretion dieser Substanzen dazu, die Zelldichte zu ermitteln“, erläuterte die Mikrobiologin Vera Bettenworth als federführende Autorin des Fachaufsatzes. Fachleute sprechen bei diesem Prozess von Quorum Sensing.
„Diesem Modell zufolge erkennen Bakterien an der Konzentration der Signalmoleküle die Gruppengröße, woraufhin sie ihren Stoffwechsel und ihr Verhalten anpassen“, führte die Marburger Mikrobiologin Prof. Dr. Anke Becker aus. In ihrer Arbeitsgruppe am Forschungszentrum SYNMIKRO sind die Experimente durchgeführt worden.
Weil Mikroorganismen die Signalmoleküle dazu nutzen, sich selbst zu verändertem Verhalten zu stimulieren, nennt man solche Substanzen im Englischen „Autoinducer“. Das Team um Becker und Bettenworth untersuchte beim Knöllchenbakterium Sinorhizobium meliloti ein Enzym, das ein Autoinducer-Molekül herstellt.
Dabei stellte die Forschungsgruppe fest, dass das Enzym – anders als erwartet – nicht kontinuierlich produziert wird, sondern schubweise. „Die Häufigkeit der Pulse hängt dabei von verschiedenen Einflüssen des Bakterienstoffwechsels ab“, legte Bettenworth dar. Das Verhalten der Kolonie beruht also nicht allein auf deren schierer Größe.
„Der innere Zustand der Zellen bestimmt mit, wann es zu einer gemeinschaftlichen Reaktion kommt“, erläurte Bettenworth. Sie vergleicht den Prozess mit einer Abstimmung.
„Die Umgebung dient als eine Art Wahlurne, denn hier werden die von den einzelnen Bakterien abgegebenen Signalmoleküle gesammelt“, erläuterte die Biologin. „erst wenn dieses Votum den Schwellenwert übersteigt, wird eine Verhaltensänderung ausgelöst.“
Becker leitet eine Arbeitsgruppe zur Mikrobiellen Genomik an der Philipps-Universität und steht dem Forschungszentrum SYNMIKRO als Geschäftsführende Direktorin vor. Bettenworth fertigte in Beckers Labor eine Doktorarbeit an.
Neben Beckers Arbeitsgruppe beteiligten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterer Institutionen an der zugrunde liegenden Forschungsarbeit, insbesondere vom Biozentrum der Universität Basel und von der Universität Bonn. Das Schwerpunktprogramm SPP 1617 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das hessische Forschungsförderprogramm LOEWE, die Max-Planck-Gesellschaft, die Carnegie Mellon Universität sowie die Nationale Wissenschaftsstiftung NSF der USA unterstützte beteiligte Forscherinnen und Forscher finanziell.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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