Ausgeklügelt: Probewohnungen für ehemals Obdachlose

Mit dem Angebot „Probewohnen möchte die Stadt Menschen den Übergang von der Obdachlosenunterkunft zu einem festen Wohnsitz erleichtern. Dafür mietet sie übergangsweise Wohnungen an und stellt eine sozialpädagogische Betreuung.
Ein erstes Probewohnen mündete bereits in einem festen Mietvertrag, die nächste Wohnung steht ab Sonntag (1. Dezember) zur Verfügung. Dennoch fehlen weitere Wohnungsangebote.
„In unserer Stadt soll niemand ohne Dach über dem Kopf leben müssen“, betonte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „Wir müssen jeden Menschen, der in Marburg keine Bleibe hat, unterbringen, dafür gibt es zunächst die Obdachlosenunterkünfte. Ziel ist aber eine eigene Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag.“
Der Sozialdezernent stellte gemeinsam mit der Arbeitsgruppe „“ohnungslosenhilfe“ das Unterstützungsangebot „Probewohnen“ für Menschen ohne festen Wohnsitz vor. Grundprinzip ist, dass die Stadt Marburg jeweils für etwa ein Jahr Wohnungen anmietet und sie Menschen zur Verfügung stellt, die noch in Obdachlosenwohnungen untergebracht sind.
„Doch mit der Bereitstellung einer Wohnung ist es nicht getan“, erklärte Spies. „Menschen, die längere Zeit auf der Straße und ohne festen Wohnsitz gelebt haben, müssen oft erst dafür gewonnen werden, dass sie Hilfe wollen und annehmen können. Die Herausforderung an die Umstellung, eine eigene Wohnung zu haben, ist riesig.“
Daher ermöglicht die Stadt während des etwa einjährigen „Probewohnens“ sozialpädagogische Begleitung für die jeweilige Person, die in eine Wohnung einzieht. Dafür hat der städtische Fachbereich Arbeit, Soziales und Wohnen einen pädagogischen Mitarbeiter eingestellt.
Kenneth Verhaal, der auch beim Diakonischen Werk Marburg-Biedenkopf tätig ist, unterstützt die ehemals obdachlosen Menschen bei ihrer Rückkehr in ein reguläres Mietverhältnis. Er versteht sich selbst als Coach, der Menschen begleitet, „bei denen Krisen in der Vergangenheit liegen“. Sie stehen nun vor neuen Herausforderungen, wenn sie eine Wohnung beziehen.
„So kann es etwa sein, dass sie Angst davor haben, Briefe zu öffnen, weil sie Sorge davor haben, was darin steht“, nannte er als ein Beispiel. Im Vordergrund steht die unterstützende Begleitung, quasi Hilfe zur Selbsthilfe. „Es geht darum, die Personen selbst in die Handlungsfähigkeit zu bringen“, sagte Peter Schmidt, Leiter des Fachbereichs Arbeit, Soziales und Wohnen. Ziel am Ende des Probewohnens sei es dann, dass die Menschen die unterstützende Begleitung nicht mehr benötigen, ergänzte Spies. Absichernden Schutz – sowohl für Mieter*in als auch Vermieter*in – gibt es dennoch über die Zeit des Probewohnens hinaus: „Sollte sich erneut eine Krise andeuten, auch erst Jahre später, steht die Stadt weiterhin als Ansprechpartnerin und begleitende Unterstützung zur Verfügung“, betonte Schmidt.
Nicht nur dieses Angebot stellt für Wohnungsnutzer*innen und Vermieter*innen eine Rückendeckung und Absicherung dar, sondern auch, dass das Probewohnen kein reguläres Mietverhältnis ist. „Es handelt sich dabei um ein öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis“, erläuterte Matthias Knoche, Abteilungsleiter der Wohnungsverwaltung der Gemeinnützigen Wohnungsbau GmbH (GeWoBau). Sollte es unüberwindbare Konflikte geben, die für die Hausgemeinschaft und die Vermieter*innen nicht tragbar sind, oder sich der Probewohnende gegen das Angebot entscheiden, kann es leichter abgebrochen werden.
Ein erstes Probewohnen verlief sehr positiv. Im Sommer unterschrieb der erste Probewohnende den Vertrag zum regulären Mietverhältnis bei der GeWoBau und sagte, es habe sich so angefühlt, „dass ich angekommen bin“. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe, vor allem auch die Vertreter*innen der beteiligten Wohnungsbaugesellschaften, sind daher sehr zuversichtlich, dass auch die folgenden Probe-Mietverhältnisse erfolgreich sein werden. So sieht das beispielsweise auch Hendrik Hoekstra, Leiter des Servicecenters Marburg der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt. Die Unternehmensgruppe stellt zum 1. Dezember eine Wohnung für das Angebot zur Verfügung.
Nach Angaben der städtischen Sozialplanung warten aktuell fünf Menschen im Obdachlosenwohnheim auf Wohnungsangebote, die für das Probewohnen – nach Besprechung in der sogenannten Fallkonferenz – in Frage kommen. „Grundvoraussetzung ist, dass die Menschen bereit dafür sind, eine eigene Wohnung zu haben“, erläuterte Gabriele Mösbauer, Leiterin des Fachdienstes Wohnungswesen. Schmidt zufolge wird in den Fallkonferenzen auf die Bedürfnisse der einzelnen Personen eingegangen und die jeweilige Ausgangslage berücksichtigt. In diesem Zusammenhang führte Mösbauer aus, dass für einige Menschen im Obdachlosenwohnheim zunächst andere Hilfen greifen müssen. Das Probewohnen ist nur ein Angebot aus dem Gesamtkonzept Wohnungslosenhilfe, erläuterte Sozialplanerin Monique Meier vom Fachdienst Soziale Leistungen.
Die Mietzahlung für die Probewohnung übernimmt laut Schmidt der Fachdienst Wohnungswesen – er erläuterte in diesem Zusammenhang aber ebenso, dass die Stadt auch für die Obdachlosenunterkünfte Ausgaben habe.
Die geringen Investitionen für die Wohnungen für einen relativ kurzen Zeitraum rechnen sich zum einen langfristigfür die Allgemeinheit. Nur mit einem festen Wohnsitz ist es beispielsweise möglich, eine Arbeitsstelle zu bekommen. So kanne das Vorhandensein einer eigenen Wohnung dazu beitragen, die aktuelle Lebenssituation zu verbessern und zu stabilisieren.
Zum anderen zeigen die Investitionen der Stadt eine besondere Wertschätzung den jeweiligen Personen gegenüber. Darum betonte Spies: „Es ist eine Investition in Schicksale, Lebensperspektiven und Chancen.“
Die Bereitstellung von Wohnungen bildet die Basis für das Angebot. Daher hofft die Universitätsstadt Marburg darauf, neben den Wohnungsbaugesellschaften künftig auch private Vermietende für das Angebot des Probewohnens gewinnen zu können.
Den Beteiligten stehen Ansprechpersonen zur Verfügung, die persönlich vor Ort sind und im Einzelfall individuell unterstützen. Angebote für Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen können an soziales@marburg-stadt.de gerichtet werden.
Als Grundlage für das Angebot wurde eine Kooperationsvereinbarung von Mitgliedern der Arbeitsgruppe des „Runden Tischs Wohnungslosenhilfe“ erarbeitet. Zwischen der Universitätsstadt Marburg, den mitwirkenden Wohnungs(bau)gesellschaften, Wohnungsunternehmen und den freien Trägern der Wohnungslosen- und Eingliederungshilfe sind detaillierte Absprachen getroffen worden. Dazu gehören genaue Abstimmungen zur Zielgruppe des Angebots und eine Fallkonferenz, die sich berät und regelmäßig austauscht.
Unterzeichnet haben diese Vereinbarung die Universitätsstadt Marburg, der Verein Arbeitskreis Soziale Brennpunkte (AKSB), das Diakonische Werk Marburg-Biedenkopf, die GeWoBau Gesellschaft, die GWH – Wohnungsgesellschaft Hessen, die Hephata Diakonie, der Verein Soziale Hilfe Marburg (SHM) und die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt. Das Unterstützungsangebot der sozialpädagogischen Begleitung baut zusätzlich mit einem eigenen Konzept auf dieser Vereinbarung auf. Das Konzept regelt den Aufgabenbereich von Kenneth Verhaal, damit das Angebot „Probewohnen“ für alle Seiten positiv verläuft und mit der Unterstützung des Pädagogen noch viele weitere Mietverträge unterschrieben werden können.

* pm: Stadt Marburg

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