Bilder hören: Oliver Stones „Snowden“ im Hörfilmkino

Die Sonne strahlt von einem blauen Himmel herab. Gemütlich gehen wir den Steinweg hinauf in die Oberstadt.
Das Hörfilmkino der Blindenbund-Bezirksgruppe Marburg zeigte am Samstag (23. März) den Kinofilm „Snowden“ von Oliver Stone. Die US-amerikanische Produktion erzählt die wahre Geschichte des ehemaligen CIA- und NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. In die Kinos kam sie erstmals im Jahr 2015.
Mein Begleiter und ich möchten uns den Film ansehen und die Bildbeschreibungen dazu anhören. Deswegen betreten wir gegen 14.20 Uhr die Gaststätte am Beginn der Fußgängerzone. Die Aufführung findet im Keller der Kneipe statt.
Am 21. Oktober 2016 hatte ich diesen Film im Rahmenprogramm des Geheimdiensttribunals in Berlin schon einmal gesehen. Dort lief er allerdings nicht als Hörfilm. Deswegen möchte ich die Gelegenheit nutzen, mir auch die Bilder anhand der Bildbeschreibungen zu erschließen.
Als Blinder bekomme ich von manchen Filmen oder Theateraufführungen nicht alles mit. Dennoch bevorzuge ich in der Regel die regulären Aufführungen. Heute habe ich mich aber für die Audiodeskription entschieden.
Hörfilme verfügen neben der regulären Tonspur noch über eine zweite Tonspur mit Bildbeschreibungen. Geschulte Teams von Bildbeschreibern erstellen kurze Texte, die von professionellen Sprecherinnen oder Sprechern auf diese Spur aufgesprochen werden. Die allerwichtigsten Geschehnisse beschreiben sie in knappen Worten zwischen den Dialogen auf der anderen Tonspur.
„Das Hörfilmkino beginnt erst gegen 16 Uhr“, sagt die freundliche Bedienung. Wir sind gut eine Stunde zu früh. Wir beschließen, in der Kneipe zu warten.
Einmal im Monat bietet die Blindenbund-Bezirksgruppe Marburg das Hörfilmkino im „Szenario“ an. Das Programm stellt Nathalie Backhaus zusammen Es bietet eine reichhaltige Auswahl unterschiedlichster Filme mit Audiodeskription.
Wir nehmen Platz an einem Tisch beim Fenster. Mein Begleiter genießt den Ausblick über die Stadt. Kaum eine Viertelstunde nach unserem Eintreffen erscheint noch ein weiterer Blinder mit seinem Begleiter und setzt sich zu uns.
Marburg ist „die Stadt der Blinden“. Dank der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) leben hier mindestens zehnmal so viele Blinde wie im Bundesdurchschnitt. Darum gibt es in Marburg auch einige spezielle Angebote für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen von speziellem Sport über Freizeitangebote wie Tandemfahren oder Ausflüge mit der Möglichkeit zum Ertasten von Gegenständen.
Mit dem blinden Kollegen unterhalte ich mich bis zum Beginn des programms. Unsere Begleiter beteiligen sich an dem Gespräch. Wir alle sind zum ersten Mal beim Hörfilmkino.
Backhaus kannte ein solches Angebot von ihrem früheren Wohnort her. Zu ihrer Überraschung gab es dergleichen in Marburg aber nicht. So gründete sie aus Eigeninitiative kurzerhand das Hörfilmkino im „Szenario“.
Andere Blinde und Sehbehinderte betreten das Lokal. Um 15.30 Uhr steigen wir alle die enge Treppe hinab in den Kellerraum. Hier soll die Aufführung stattfinden.
Zunächst liest ein freundlicher Kellner die Speisekarte vor. Auf Nachfrage erklärt er einzelne Gerichte. So haben die blinden Besucherinnen und Besucher kein Problem bei der Essensbestellung.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Anwesenden beginnt der Film. Gespannt lausche ich den Beschreibungen der Bilder des Films und den Dialogen der Protagonisten.
2013 hat Edward Snowden in Hongkong zigtausende geheimer Dokumente der US-amerikanischen Geheimdienste an die Presse und die Enthüllungsplattform „Wikileaks“ weitergegeben. Der Film zeichnet den Weg des jungen IT-Experten von einem patriotischen Geheimagenten zu einem Whistleblower eindringlich nach. Stone beschreibt die vielen geheimen programme, mit denen vor allem die „National Security Agency“ (NSA) die ganze Welt nahezu lückenlos überwacht.
Obwoh ich den Film bereits kenne und mir auch die meisten Details aus Snowdens Enthüllungen bekannt sind, erfasst mich zwischendurch dochmehrmals ein Schaudern. Vor allem die Feststellung Snowdens, die NSA könne die technische Infrastruktur wie Energie- und wasserversorgung auch befreundeter Staaten er Knopfdruck lahmlegen, weckt in mir einen scharfen Verdacht, zumal kurz danach als Länder neben Japan und Deutschland auch Venezuela genannt wird.
Mein Begleiter stößt mich genau an dieser Stelle an. Er hat den gleichen Verdacht wie ich.
Der Film endet mit Snowdens „Verrat“ seiner geheimen Informationen. Aus Sorge um die Demokratie hat er sich entschlossen, seine Erkenntnisse über die kriminellen Machenschaften der US-Geheimdienste zu veröffentlichen und dafür erhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen. So wurde er 2013 zum berühmtesten Whistleblower der Welt und zugleich zum meistgesuchten Mann der USA.
Am Ende der Vorführung bleiben alle nachdenklich zurück. Die Diskussion führen wir im Anschluss oben in der Gaststätte. Dort warten die vor Beginn der Forführung bestellten Speisen auf uns.
Bis heute hat Snowden Recht behalten. Doch bis heute werden Millionen Menschen weltweit nach wie vor überwacht. Zwar hat Snowden für seine mutige Tat einige Auszeichnungen wie beispielsweise 2014 den Fritz-Bauer-preis der Humanistischen Union (HU) erhalten, doch lebt er nach wie vor im Untergrund unweit von Moskau.
Der Mut und die Konsequenz Snowdens beeindrucken mich tief. Ich wünschte mir mehr Menschen mit Haltung wie ihn und weniger skrupellose Politiker wie Donald Trump. Zudem freue ich mich schon auf den übernächsten Hörfilm im Programm.
„Der Untergang“ mit Bruno Ganz steht dann auf dem Programm. Der Tod des berühmten Schweizer Schauspielers hat diese Auswahl angeregt. Ganz spielt in diesem Film den Diktator Adolf Hitler.
Auch dieser Film ist eine Mahnung, sich für die Demokratie und ihren Schutz einzusetzen. Angesichts des Erstarkens der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) halte ich das für überaus wichtig. Der Untergang der Demokratie ist hoffentlich noch abzuwenden.

* Franz-Josef Hanke

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