Gleichberechtigung gespürt: 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland

Das Frauenwahlrecht feiert seinen 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass hatte die Stadt zu einer Abendveranstaltung eingeladen.
Wählen und sich selbst wählen lassen – das volle Recht auf politische Beteiligung für Frauen in Deutschland – feiert seinen 100. Geburtstag. Das lange von der Arbeiter- und Frauenbewegung geforderte Wahlrecht für Frauen wurde am 12. November 1918 verkündet.
„Frauen werbt und wählt, jede Stimme zählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt!“ Diesem Wahlspruch von Elly Heuss-Knapp zur ersten Wahl von Frauen in Deutschland folgten rund 17 Millionen Frauen.
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 nutzten sie ihr Wahlrecht zum ersten Mal. Sie machten damals mehr als die Hälfte der Wählenden aus.
„Frauen haben sich auch später entscheidend in die deutsche Politik eingebracht und wichtige Grundrechte erstritten“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „Erinnern möchte ich zum Beispiel an die vier Mütter des Grundgesetzes Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel. Vor allem Nadig und der Hessin Selbert verdanken wir, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Artikel 3 des Grundgesetzes verankert ist.“
Auch heute noch sei es wichtig, sich für die politische Beteiligung von Frauen einzusetzen. In politischen Ämtern auf Bundes- und Landesebene sowie im kommunalen Bereich seien Frauen nicht in gleicher Anzahl vertreten. Teilweise sei der Anteil von gewählten Politikerinnen seit der letzten Wahl sogar gesunken.
Frauen in politischen Gremien „sind eine Bereicherung“, sagte Spies. „Sie sorgen auch für Qualität durch andere Blickwinkel und eine Verbesserung der Debattenkultur.“
Leider sei auch in meisten politischen Gremien der Universitätsstadt Marburg der Frauenanteil gesunken, bedauerte Spies. Eine Auswertung des Gleichberechtigungsreferats zeigt zum Beispiel, dass der Frauenanteil in der Stadtverordnetenversammlung um sechs Prozentpunkte auf 36 Prozent gesunken ist.
„Und das ist ein Fehler“, erklärte er. „Daran müssen wir arbeiten und noch mehr für die politische Bildung von Frauen tun. Die Entwicklung ist hier leider anders als in der Marburger Stadtverwaltung, in der in den letzten Jahren deutlich mehr Frauen Führungspositionen übernommen haben.“
Dem runden Geburtstag hat sich der öffentliche Abendvortrag „100 Jahre Frauenwahlrecht – was wir feiern können und wofür wir kämpfen müssen“ gewidmet. Politikwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Dr. Dorothee Beck von der Philipps-Universität fragte, was Frauen und die Gesellschaft heute mit 100 Jahren Frauenwahlrecht verbinden. Beck beleuchtete, was im Zuge der Gleichberechtigung schon erreicht wurde und welche Versprechen der Geschlechtergleichheit noch unerfüllt sind.
In ihrem Vortrag verdeutlichte Beck, dass es nach Einführung des Frauenwahlrechts ein langer Weg war, bis der Anteil derjenigen stieg, die auch gewählt wurden und politische Verantwortung übernahmen. Im ersten Reichstag 1919 habe der Anteil der weiblichen Abgeordneten nur bei 8,7 Prozent gelegen.
Auch im Deutschen Bundestag sei dieser Wert erst 1983 erstmals überschritten worden und habe erst 1987 über zehn Prozent gelegen. Den höchsten Frauenanteil mit knapp einem Drittel habe es nach der Bundestagswahl 2013 gegeben.
Er sei aber bereits wieder leicht gesunken. In den Landesparlamenten liege er derzeit durchschnittlich bei 31,4 Prozent, kommunal gar nur bei etwa 26 Prozent. „Wir müssen deshalb für eine gesetzliche Quote kämpfen“, forderte Beck.
„Unterrepräsentiert waren und sind Frauen auch in Spitzenpositionen“, stellte Beck fest. Die erste Bundesministerin sei erst 1961 ins Amt eingeführt worden, die erste Landesministerin 1978, die erste Bundestagspräsidentin 1972 und die erste Ministerpräsidentin 1993.
Mit Angela Merkel habe es seit 2005 die erste Bundeskanzlerin gegeben. Eine Bundespräsidentin gibt es bis heute noch nicht.
Auch auf kommunaler Ebene seien es immer noch deutlich mehr Männer, die Städte und Gemeinden an erster Stelle repräsentierten. „Eine Oberbürgermeisterin in Marburg gab es auch noch nie“, bemerkte Beck. „Dafür müssen wir kämpfen.“
Frauen zu ermutigen und zu stärken, sich politisch und zivilgesellschaftlich einzumischen, ist auch ein Ziel im Ersten Marburger Aktionsplan für die Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene. Dazu organisieren die städtische Volkshochschule und das Gleichberechtigungsreferat eine Veranstaltungsreihe „Frauen und Politik – Frauen in der Politik“.
Die Einführung in die kommunale Selbstverwaltung wird ab Frühjahr 2019 an zehn Terminen stattfinden. Der Kurs soll Frauen gezielt als Gestalterinnen von Politik und Zivilgesellschaft unterstützen.

* pm: Stadt Marburg

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