Wo kommen die Löcher im Flickenteppich her? Ein Forschungsteam erklärt das Verhalten von Quasiteilchen in zusammengesetzten Halbleiternanoschichten.
Setzt man extrem dünne Halbleiternanoschichten aus Flächen zusammen, die aus unterschiedlichen Materialien bestehen, so finden sich darin Quasiteilchen mit vielversprechenden Eigenschaften für eine technische Nutzung. Das zeigt ein internationales Team aus der Physik unter Marburger Leitung, indem es theoretische Untersuchungen mit Messdaten vergleicht. Die Forschungsgruppe berichtet in der Wissenschaftszeitschrift „Nature Communications“ über ihre Ergebnisse.
Elektronische Geräte zeigen schon lange eine Tendenz zur Miniaturisierung. Die Industrie verwendet immer kleinere Bauteile, um mehr und mehr Leistung auf möglichst kleinem Raum unterzubringen. „Dieser Trend kommt mittlerweile an fundamentale, physikalische Grenzen der angewandten Materialien“, berichtete der Physiker Prof. Dr. Ermin Malic von der Philipps-Universität.
Er ist einer der Leitautoren der aktuellen Publikation. „Die neue Materialklasse der atomar dünnen Nanoschichten könnte hier die technologische Entwicklung vorantreiben“, erklärte der Hochschullehrer. Im Fokus von Malics Forschung steht insbesondere ein spezielles neuartiges Halbleiternanomaterial.
Bei den Übergangsmetall-Dichalkogenid-Monolagen – kurz „TMD“ nach der englischen Bezeichnung „transition metal dichalcogenide“ – handelt es sich um hauchdünne Kristalle, die aus einer einzigen atomaren Schicht bestehen. „Sie besitzen eine Reihe von außerordentlichen Eigenschaften, die sie zu vielversprechenden Kandidaten für ultradünne, biegsame und durchsichtige Geräte machen“, führte Malics Mitarbeiter Dr. Roberto Rosati aus. Er ist ein weiterer Leitautor.
In ultradünnen TMDs können elektrische Ladungen erzeugt werden, die als Paare aus je einem Elektron und einem Loch vorliegen, an dem ein Elektron fehlt. Fachleute bezeichnen ein solches Elektron-Loch-Paar als Exziton. „Die faszinierende Exziton-Physik wird noch spannender, wenn man die atomar dünnen TMD-Halbleiter stapelt“, erläuterte Malic.
Die Wissenschaft spricht bei Halbleitermaterialien, die aus zwei Schichten bestehen, von „Heterostrukturen“. In solchen Heterostrukturen kommt es zu räumlich getrennten Exzitonen, bei denen Elektron und Leerstelle in verschiedenen Schichten liegen und damit räumlich getrennt sind. Da der Bildung dieser Exzitonen ein Ladungsübergang von einer Schicht zur anderen vorausgeht, heißen sie auch „Ladungstransfer-Exzitonen“.
Im Verhalten dieser Quasiteilchen spiegeln sich die Eigenschaften der Grenzfläche wider. Der Sonderforschungsbereich 1083 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu „Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ an der Philipps-Universität bietet beste Bedingungen, um dergleichen zu untersuchen.
Bislang hat sich die Forschung auf vertikale Heterostrukturen konzentriert, die durch das Aufeinanderstapeln von Einzellagen entstehen. Malics jüngste Studie widmet sich hingegen einlagigen TMD-Halbleiterschichten, die zu größeren Flächen zusammengesetzt sind wie Flicken zu einer Patchworkdecke. Dazu hat sich die Theoriegruppe um Malic mit experimentellen Arbeitsgruppen – unter anderem aus Darmstadt und Jena – zusammengetan.
„Unsere mikroskopische und materialspezifische Theorie offenbart die physikalischen Prozesse, die der Bildung von Ladungstransfer-Exzitonen zugrunde liegen“, berichtete Malic. „Die Analyse zeigt außerdem, wie ihr Verhalten durch geeignete Bedingungen beeinflusst und dadurch für technologische Anwendungen optimiert werden kann.“
Experimentelle Messungen bestätigen die theoretischen Vorhersagen. „Unsere Studie stellt das Verständnis der Eigenschaften dieser technologisch vielversprechenden Materialien auf eine neue Basis“, fasst Malice zusammen.
Malic leitet die Arbeitsgruppe „Ultraschnelle Quantendynamik“ an der Philipps-Universität. Neben seiner Team beteiligten sich Universitäten und Forschungseinrichtungen in Jena und Darmstadt sowie in Frankreich, Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) an der Forschungsarbeit. Finanzielle Förderung kam unter anderem von der DFG über ihren Sonderforschungsbereich 1083 sowie von der Europäischen Union (EU) aus ihrer Förderlinie „Graphene Flagship“.
* pm: Philipps-Universität Marburg