Fear 2019: Erhelende und berührende Auseinandersetzung mit Hetze und Hass

„Das sagen wir jetzt lieber nicht“, erklärte ein Darsteller. „Sonst könnte uns jemand verklagenoder ein Staatsanwalt monatelang gegen uns ermitteln.“
„Das Stück zur Zeit“ nennt sich eine neue Reihe des Hessischen Landestheaters marburg. Sie oll aktuelle Stoffe möglichst ohne allzu viel Vorlauf auf die Bühne bringen. Den Anfang machte am Donnerstag (18. April eine Adaption des Stücks „Fear“ von Falk Richter.
Mit „Fear 2019“ hat Romy Lehmann Richters STÜCK aus dem Jahr 2015 aktualisiert. Die Premiere erntete am Donnerstagabend im „Kleinen TaSch“ zu Recht langanhaltenden begeisterten Applaus.
Eher witzig beginnt die Aufführung mit einigen Aussagen über Beatrix von Storch und ihre Gesinnungsgenossinnen sowie ihren Ehemann. Ihr Großvater wird nur erwähnt, aber nicht namentlich genannt. All das könnte ja sonst zu Problemen führen, erläutern die Darsteller ihre Zurückhaltung, über einige Andeutungen zum Engagement der Genannten für ein „christliches Abendland“ ohne Homosexualität und Vielfalt hinauszugehen.
Einer der Beteiligten ist in den Ferien daheimgeblieben. Dort surft er im Internet und klickt zahlreiche Videos und Webseiten an. Durch Tausende populistischer Aussagen frisst er sich hindurch.
Angst vor Fremden ist da massenhaft zu finden. Angst vor Schwulen findet sich da auch. Angst um die eigene Identität als „Deutscher“ ist ein häufiges Leitmotiv.
Zwei brutale „Helden“ brausen in einer Serie durch eine zerstörte Welt. Mitunter ist nicht mehr klar, ob die Geschichte eine fiktive Handlung beschreibt oder die einstmals vollmundig versprochenen „blühenden Landschaften im Osten“.Großartig ist der Monolog eines Mannes, der seineWohnung räumen muss, um in den Wedding umzuziehen. In gekonntem Berliner Dialekt berichtet er von steigenden Mieten und gentrifizierten Stadtteilen. Daran seien die Fremden schuld, die jetzt in Massen nach Deutschland kämen, erklärt er.
Eine Frau sorgt sich um ihren Großvater, der zwischen 300 Geflüchteten am Bahnhof sitzt und ihnen Bilder seiner verstorbenenFrau zeigt. Sie zeigen ihm Bilder ihrer Verwandten, die nicht mitgekommen sind nach Deutschland. Nur die jungen Männer sind im Dorf angekommen, ohne jedoch wirklichanzukommen in ihrer neuen „Heimat“.
Texte des Kasseler Soziologen Prof. Dr. Heinz Bude setzen sich mit Solidarität, Identität und Angst auseinander. Wer Angst hat, einfach beiseitegeschoben zu werden und für die Gesellschaft nicht mehr zu existieren, der verschafft sich notfalls lauthals Respekt. Hass und Hetze sind möglicherweise Ausdruck der vergeblichen Hoffnung auf gesellschaftliche Anerkennung.
Erhellend und beschämend zugleich waren die großartigen Zitate aus „Die Gefahr der einen einzigen Geschichte“ von Chimamanda Ngozi AdichieTED. Ihre eigenenErfahrungen mit unhinterfragtem Kolonialismus schildert die Nigerianerin mit eindringlicher Offenheit. Allein diese Passagen lohnen den Besuch der Aufführung bereits total.
Wirklich großartig haben Saskia Boden-Dilling, Zenzi Huber, Simon Olubowale, Robert Oschmann und Metin Turan die verschiedenen Szenen umesetzt. Von der rechtspopulistischen Hetze bis zum Eintreten für Vielfalt und Völkerverständigung reichten die Textfragmente, die sie vortrugen. Teils sachlich, teils mit Pathos und mitunter auch in höchster Erregung präsentierten sie all diese Bruchstücke aus der Debatte um „Heimat“ und „Überfremdung“ sowie Demokratie und Pressefreiheit.
Eine minutenlange Passage in englischer Sprache hätte nicht unbedingt sein müssen, zumal einer der Darsteller nicht die optimale Aussprache traf. Das Schlusswort auf Englisch hingegen war die geniale Zusammenfassung der Debatte durch die nigerianische Dichterin Adichie in einem berührenden Video.
Unbedingt empfehlenswert ist „Fear 2019“ nicht nur für politisch Interessierte, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Ein wenig trägt das Stück zum besseren Verständnis der Rechtspopulisten bei, ohne ihre Hetze undihren Hass zu rechtfertigen. Vor Allem ist es am Ende aber eine eindringliche Ermutigung, sich für Freiheit, Mitmenschlichkeit und Vielfalt einzusetzen.

* Franz-Josef Hanke

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