Unter Volldampf: Lange Warteliste bei Post-Covid-Ambulanz

Die Post-Covid-Ambulanz steht unter Volldampf. Ihr interdisziplinäres Team arbeitet eine Warteliste von 7.400 Patient*innen ab.
Nach einer Erkrankung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 kann es zu langanhaltenden Beschwerden kommen, die europaweit laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mindestens 17 Millionen Menschen betreffen. Rund 10 bis 15 Prozent der Infizierten sind von solchen Nachwirkungen betroffen, die Fachleute ab einer Dauer von vier Wochen unter dem Begriff „Long Covid“ zusammenfassen.
„Die Bandbreite in der Symptomatik und im Schweregrad ist groß und reicht von Leistungsminderung über neurokognitive Störungen bis zu unspezifischem Herzrasen und chronischen Herzmuskelentzündungen, die zur Arbeitsunfähigkeit führen können“, berichtete Prof. Dr. Bernhard Schieffer. Er ist Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität.
Nach zwölf Wochen bezeichnen Fachleute die Coronaspätfolgen als „Post-Covid-Syndrom“, welches ein wachsendes sozio-ökonomisches Problem darstellt. Die Mehrzahl der Betroffenen sind junge Menschen. Betroffen sind vor allem Frauen, im Alter von 25 bis 55 Jahren, die durch Post-Covid aus dem Berufsleben gerissen werden. Das hat auch eine europaweite Umfrage aus dem Fachbereich mit über 4.000 Betroffenen ergeben.
Schon im Spätsommer des zweiten Coronajahres 2021 wurde das Team des Kardiologen Schieffer mit einer neuen Symptomatik nach Coronainfektionen –
wie etwa Herzrasen, Brustschmerzen oder Schwindelgefühlen – konfrontiert. Die Symptomatik war auch nicht immer einer medizinischen Disziplin alleine zuzuordnen. Daher arbeiten Kolleg*innen aus der Neurologie, Pneumologie, Infektiologie/Virologie und Künstlichen Intelligenz in der Medizin eng zusammen, um ein Muster im Krankheitsbild zu erkennen.
In Deutschland ist eine der ersten Post-Covid-Ambulanzen im Frühjahr 2021 an der Universitätsklinik Marburg ins Leben gerufen worden. Je nachdem welche Beschwerdesymptomatik im Vordergrund steht, kümmert sich an der Universitätsklinik ein interdisziplinäres Team aus Kardiolog*innen, Lungenärzt*innen, Nervenärzt*innen und Psycholog*innen um die Patientinnen und Patienten. Die Warteliste ist lang und umfasst derzeit rund 7.400 Personen.
Speziell kümmert sich die Ambulanz von Schieffer auch um die seltenen – aber teilweise dramatischen – Folgen einer Coronaimpfung. Auch wenn sie weitaus seltener sind, so nehmen sie einen ähnlichen symptomatischen Verlauf. Begleitet wird diese klinische Arbeit von translationaler Wissenschaft, die den Ursachen von Post-Covid auf den Grund gehen soll.
Auf Basis dieser Erfahrungen haben Schieffer und Kolleg*innen aus Berlin, Mannheim, Nürnberg und München unter dem Titel „Die Pandemie nach der Pandemie“ den aktuellen Stand bei Symptomatik, Diagnostik und Therapie von Long/Post Covid im Deutschen Ärzteblatt vom 31. März 2023 zusammengefasst. Darin weisen die Medizinerinnen und Mediziner auf Schlüsselsymptome wie etwa verschiedenen Ermüdungs- und Erschöpfungszustände hin und erläutern, nach welchen Kriterien sie die Diagnose „Post-Covid Syndrom“ stellen.
„Nicht nur ist die Erkrankung wenig verstanden“, sagte Schieffer, „es fehlt jedwede politische Akzeptanz für die vielen Tausenden von Patientinnen und Patienten und jedwede finanzielle Unterstützung durch die Landes- und Bundespolitik.“ Neben der Versorgung der Patientinnen und Patienten gilt Schieffers Augenmerk auch der Grundlagenforschung. Um diese Grundlagenforschung zur Diagnostik und Therapie von Post-Covid zu unterstüzten, hat das Team um Schieffer eine Crowd-Funding-Kampagne angestoßen.
„Von Routinediagnostik und Standardtherapien sind wir weit entfernt“, ergänzte Schieffer. Wichtig sei, dass Erkrankte über ihre Hausärzte erste abklärende Untersuchungen anstoßen, bevor sie in die Ambulanz der Universitätsklinik kommen.
Das mittlerweile sechsköpfige Ärzteteam der Klinik für Kardiologie kommt jetzt schon dem Andrang kaum nach. Aufgrund der vielen Nachfragen und des komplexen Krankheitsbilds kann derzeit die Bearbeitung der Anfragen einige Wochen in Anspruch nehmen. Laut Schieffer ist es daher sinnvoll, wenn möglichst viele abklärende Untersuchungen schon im Vorfeld durch die Hausärzt*innen gemacht werden.
Für Patientinnen und Patienten gibt es über die Homepage des Universitätsklinikums Gießen-Marburg erreichbare E-Mail-Adressen und Hotlines für die Post-Covid-Ambulanz der Kardiologie. Dort finden sich auch weitere Informationen zur Crowd-Funding-Kampagne unter www.ukgm.de/ugm_2/deu/umr_kar/51186.html.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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